Arbeitshilfe

Balljungs – Woher kommen unsere Fußbälle?

Dokumentarfilm von Svea Andersson und Anke Möller
Deutschland 1999, 28 Minuten
Der Film ist Teil der Kompilations-DVD "Die Welt ist rund: Fußballträume - Fußballrealitäten"

Inhalt
Eine Alltagsszene aus Deutschland: Zwei Jungs schauen sich im Kaufhaus Fußbälle an. Sie sind wählerisch, aber kaufen einen und gehen. Im Hintergrund hört man Geräusche einer Fankulisse im Stadion. Jetzt zeigt die Kamera, wie ein Fußball beim Training in den Abendhimmel geschossen wird. Er fliegt – und schon die nächste Szene beginnt mit Alltagsszenen aus Pakistan, einem Land, in dem Fußbälle hergestellt werden.
Es ist früh am Morgen, in Sabrana, einem kleinen Dorf im Nordosten Pakistans. Assan, sein Alter wird auf 11 Jahre geschätzt, wacht mit seinen Geschwistern und seinem Freund Sagir auf. Assan hat keinen Vater mehr, er ist vor kurzem gestorben. Der Film erzählt in den folgenden Minuten von den Lebensbedingungen Assans. Es ist Ramadan. Man sieht Assan beim Morgengebet. Der Glaube, so wird berichtet, gehört zum Alltag der Jungen und bestimmt ihn. Es gibt Fladenbrot – die einzige Mahlzeit bis zum Abend. Dann beginnt ihr Arbeitstag: Assan und Sagir nähen Fußbälle zusammen.
Sabrana liegt in der Nähe der Industriestadt Sialkot im Punschjab. Die Landwirtschaft hat an Bedeutung verloren. Produziert werden vor allem Fußbälle. In Sialkot werden drei Viertel der Weltproduktion an Fußbällen hergestellt, rund 20 Millionen Bälle pro Jahr. Der Film zeigt beeindruckende Bilder, wie Bälle das Alltagsbild bestimmen. Verpackt in großen Säcken werden sie mit kleinen Lastwagen oder auf dem Esel transportiert und auf den Weg nach Europa gebracht. Die Fußballproduktion ist ein Teil der Kultur in dieser Region geworden.
Kinder, die wie Assan und Sagir an der Fußballproduktion beteiligt sind, sieht man auf den ersten Blick in Sabrana nicht. Sie bleiben verborgen. Dafür, so wird berichtet, sorgen die Herstellerfirmen, darunter alle großen Namen: adidas, Puma, Nike. Sie sorgen sich um ihren guten Ruf, möchten nicht, dass ihr Name mit Kinderarbeit in Verbindung gebracht wird.
Assan und Sagir sitzen auf dem Dach ihres kleinen Hauses und nähen. Der Film zeigt sie bei ihrer schweren Arbeit. Sie nähen im Durchschnitt 4 Bälle pro Tag, jeder Ball hat 32 Teile, für den Ball benötigen sie 750 Nadelstiche. Pro Ball verdienen sie ungefähr eine Mark, häufig wird ihnen aber Geld abgezogen, mit der fadenscheinigen Begründung, sie seien nicht gut genäht. „Mafia-Steuer”, nennen dies die Jungs. „Ich mache die Arbeit schon seit sechs Jahren, das ist schon in Ordnung”, sagt der eine, „Wie kann man die Arbeit nicht o.k. finden”, sagt der andere, „schließlich bringt sie uns Essen und Trinken”. Doch im Verlauf des Gesprächs sind auch andere Töne zu hören: „Wenn es ginge, würde ich gerne eine andere Arbeit machen”. Und weiter: „Wenn ich weiter zur Schule gegangen wäre, hätte ich jetzt eine andere Arbeit”. Schließlich auch dieses: „Wenn ich an die denke, die mit den Fußbällen das große Geld verdienen, fluche ich auf sie. ”Aussagen, die authentisch klingen.
Am Abend verlässt eine Eselfuhre mit Bällen Sabrana in Richtung Sialkot. Der Film zeigt, wie in der „Hauptstadt des Fußballs” in großen Fabriken gearbeitet wird, in der in der Regel nur Männer tätig sind. „Deutschland” wird auf die Bälle einer Produktionsserie gedruckt. Rund 400 Herstellerfirmen sind in Sialkot tätig, rund 40 von ihnen haben sich zum Zeitpunkt der Filmaufnahmen (1999) verpflichtet, auf Kinderarbeit zu verzichten.
Noch einmal blendet der Film zurück zu Assan und Sagir und berichtet über einen anderen Aspekt ihrer Arbeitsbedingungen: Die beiden Jungen bekommen von den Mittelsmännern, die ihnen die Ballteile zum Nähen bringen, Geld als Vorschuss bezahlt und müssen es dann abarbeiten. Beide Familien sind hochverschuldet, weil sie zum Beispiel Geld für ihr Haus benötigen. Mit der Verschuldung aber kommt die Abhängigkeit: „Selbst wenn wir eine andere Arbeit finden würden, könnten wir sie nicht annehmen. Dann würden sie uns bedrohen.” Jetzt berichten die beiden auch über ihre Schmerzen in den Knien, über die Schwierigkeiten mit dem Atmen, wenn die Ballteile voller Staub angeliefert werden und von ihnen verarbeitet werden müssen. Verlegenheit, als einem von ihnen die Tränen in die Augen kommen.
Doch es gibt auch Hoffnung. Assan und Sagir können an einem Schulprogramm der International Labour Organization (ILO) teilnehmen, welches sich an Kinder wendet, die in der Fußballproduktion tätig sind. Nach der Arbeit versuchen sie, sich mit anderen Kindern aus Sabrana auf das Lernen zu konzentrieren.
Das Ende des Filmes schlägt einen Bogen zum Anfang: Assan und Sagir kaufen sich von ihrem mühevoll gesparten Geld einen kleinen Drachen. Er steigt in den Abendhimmel von Sabrana –während sich in der Schlusssequenz ein Fußball in einem deutschen Stadion im Tornetz verfängt. „Gott weiß, wohin die Bälle gehen”, sagt Assan irgendwann im Film.

Zum Film
Der Film „Balljungs” wurde 1999 gedreht, ein Jahr nach der Fußballweltmeisterschaft in Frankreich. Diese Megaevent war mit ein Anlass für eine verstärkte öffentliche Aufmerksamkeit für die Arbeitsbedingungen in der Fußballproduktion, für die wachsende Kritik an den großen Herstellerfirmen, für die Initiierung von Maßnahmen gegen die Kinderarbeit in der Fußballproduktion und schließlich für den Aufbau einer kleinen Ball-Produktion zu fairen Produktions- und Handelsbedingungen.
„Balljungs” schildert präzise am Beispiel der beiden Jungen Assan und Sagir die Lebens- und Arbeitsbedingungen der vielen Kinder, die auch noch heute in der Fußballproduktion in Pakistan arbeiten. Der Dokumentarfilm weist einen klaren, nachvollziehbaren Aufbau auf, in dem er sich am Tagesablauf der Kinder orientiert. Die Schauplätze wechseln nur selten zwischen Sabrana und Sialkot, und doch wird der Film nie langweilig. Dies liegt mit an den eindrucksstarken Bildern von der Region Sialkot und der Art und Weise, wie diese durch die Fußballproduktion geprägt wird. Es liegt aber vor allem daran, wie authentisch die beiden Jungen über ihren Alltag, ihre Sorgen, Nöte und Hoffnungen berichten. Sie dürfen dies in diesem Film auch tun und darin liegt die große Stärke des Films. Lange Sequenzen zeigen die Jungen beim Nachdenken, beim Formulieren ihrer Sätze und eben bei ihrer Arbeit. Diese langen Sequenzen mit ihren Großaufnahmen lassen erahnen, wie mühsam es ist, die Nadel beim Ballnähen zu führen. Der Film wird so zu einer Anklage gegen Kinderarbeit – aber ohne jedes moralisches Pathos. Auch dazu tragen die beiden bei, wenn sie erzählen wie wichtig ihre Arbeit für sie ist, wenn sie sich ihren Drachen kaufen oder wenn sie mit Begeisterung nach der schweren Arbeit in die Schule gehen können. Ihre Situation scheint hoffnungslos, vor allem wegen der Schulden und der Abhängigkeit vom Arbeitgeber. Und doch ist zum Beispiel durch das Schulprojekt der ILO auch die Hoffnung greifbar, dass sich etwas ändern kann.
Neben der Konzentration des Films auf die Situation der beiden Jungen erfährt man in den kurz gehaltenen Kommentaren einiges über den Alltag in Pakistan, den Stellenwert der Religion und die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der industriellen (Fußball-)Produktion in der Region Sialkot. Thematisiert wird auch die langjährige Bereitschaft der großen Herstellerfirmen – genannt werden adidas, nike oder Puma – Kinderarbeit in Kauf zu nehmen bzw. ihre Existenz zu ignorieren. Der Film benennt die Ängste der Firmen, mit dem öffentlichen Vorwurf der Kinderarbeit in Verbindung gebracht zu werden. Der Film verzichtet dabei aber auf offizielle Stellungnahmen der Verantwortlichen, sei es in Europa oder vor Ort. Dies ist auch gut so. Denn Leerformeln, um die es sich häufig bei derartigen Statements handelt, würden den filmischen Aufbau nur stören und zur inhaltlichen Vertiefung kaum beitragen.
So werden viele, auch die in der Öffentlichkeit kontrovers diskutierten Themen und Aspekte im Umgang mit Kinderarbeit durch die Äußerungen der Jungen, die Kommentare und die Kameraführung zwar angesprochen, aber nicht in ihrer Tiefe behandelt. Dies gilt zum Beispiel auch für die Rolle des ‚jugendlichen Käuferverhaltens in Deutschland. Diese wird aber in Form der knappen, einleitenden Sequenz angetippt und somit zur kritischen Auseinandersetzung geöffnet. Informationsvermittlung und Diskussionsanstöße auf diese Art wirken nie aufdringlich und somit auch nicht belehrend.
Bedauerlich ist allerdings, dass durch die Konzentration auf die Biographien von Assan und Sagir nicht deutlich werden kann, dass selbstverständlich auch Mädchen in der Ballproduktion tätig sind. „Balljungs” wird so zwar seinem Titel gerecht, führt aber auf eine etwas falsche Fährte. Der Film leistet auch keinen Beitrag zu der Frage nach den Handlungsmöglichkeiten in Europa, in Deutschland, in den Ländern, wo die von Assan und Sagir genähten Bälle zum Einsatz kommen. Dies kann er in seinen beeindruckenden 28 Minuten auch nicht. Dies anzu-sprechen und zum Thema zu machen ist eine der zentralen Aufgaben beim Einsatz des Filmes.

Zum Einsatz des Filmes
Der Film „Balljungs” ist im Unterricht und in der außerschulischen Bildungsarbeit vielfältig verwendbar. Schon Zehnjährige können dem Film ohne Probleme folgen, sich von den Auf-nahmen fesseln lassen und seine inhaltlichen Aussagen wahrnehmen. Mit der Anfangsszene mit Kindern bzw. Jugendlichen in Deutschland werden sie schon einleitend in ihrem eigenen Verhalten angesprochen, die Schilderungen der beiden elf- oder zwölfjährigen Jungen aus Pakistan schließen sich daran nahtlos an.
Die Länge des Films lässt den Einsatz in einer Unterrichtsstunde zu, mit einer kurzen Vor- und Nachbesprechung. Gleichwohl kann die Stärke des Films vor allem im Projektunterricht, aber auch bei Konfirmanden oder in anderen Formen außerschulischer Bildung entfaltet werden, eingebettet in vertiefende Informationen zu den Themen „Kinderarbeit”, „Welthandel” und „Fairer Handel”. Dabei lässt sich bei der Sportbegeisterung von Kindern und Jugendlichen ansetzen. So macht es sicherlich Sinn, den Einsatz des Filmes – wenn möglich – mit aktuellen sportlichen bzw. fußballerischen Ereignissen abzustimmen, von denen Kinder und Jugendliche fasziniert sind. Fußball-Events gibt es genügend – kleine (Fußballturniere an der Schule, Vereinsmeisterschaften) und natürlich große. Schließlich steht im Jahr 2002 die Fußballweltmeisterschaft in Korea und Japan auf dem Programm. Nach diesem Megaevent fällt dann auch schon der Startschuss für die WM in Deutschland 2006.
In Hamburg wurde der Film übrigens bei einem Fußballaktionstag Hamburger Schulen gezeigt, an denen auch Idole und Stars des Hamburger Sportvereins beteiligt waren. Einer, für den Fußball nicht alles ist, ist Marco Bode, bei Werder Bremen unter Vertrag und Nationalspieler. In der Aktionszeitung „Fair Life 2000” von „Brot für die Welt” schreibt er: „Fair Play und Spitzensport – das passt nach Auffassung vieler nicht mehr zusammen. Ich würde wider-sprechen: Entzieht man dem Sport den Fairness-Gedanken, so verliert man die Grundlage der sportlichen Auseinandersetzung! Gleiches gilt für den Handel: von fairem Handel sollen und können beide Seiten profitieren!”
So verknüpft ergeben sich gute Ausgangssituationen für die Bildungsarbeit.
Was muss bei der Vorbereitung inhaltlich beachtet werden? Der Film eröffnet genügend Möglichkeiten für kontroverse Auseinandersetzungen. Vertiefende Informationen über die an-gesprochenen Themen müssen aber eigenständig recherchiert werden, da der Film sie nicht bietet. Beachtet werden muss auch, dass sich einiges verändert hat, seit der Film abgedreht wurde. So hat sich die Produktion fair gehandelter Fußbälle zumindest zu einer kleinen Erfolgsstory entwickelt, die es wert ist aufgegriffen zu werden. Auch nach Einschätzung der Organisation „Global March against child labour” hat die verstärkte öffentliche Aufmerksamkeit in den letzten Jahren insgesamt positive Ergebnisse gebracht. Nicht nur die ILO, sondern auch verschiedene NGOs, UNICEF und der Fußballweltverband FIFA unterstützen vor allem in Pakistan und Indien Programme zur Abschaffung der Kinderarbeit in der Fußballproduktion. Trotzdem wird in einem Positionspapier vom „Global March against child labour” zu Recht auch festgestellt: „In 1999 and 2000 however, detailed reports were published on Pakistan and India which clearly show that there are still many children stitching footballs in both countries. Wages are often far below the official minimum and also most other labour provisions in the contracts between FIFA and sporting goods companies are systematically violated.” Deshalb ist zu hoffen, dass anlässlich der Fußball-WM 2002 erneut eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema „Kinderarbeit in der Fußballproduktion” an Bedeutung und Öffentlichkeit gewinnt. Der Einsatz des Films „Balljungs“ kann mit dazu beitragen.
Vor diesem Hintergrund lässt sich der Film „Balljungs” unter Aspekten des globalen Lernens und unter Einbeziehung weiterer Materialien und Informationsquellen ertragreich einsetzen:

  • „Balljungs“ bietet Stoff für einen Vergleich der Lebenssituation mit Kindern und Jugendlichen in Pakistan und denen hier in Deutschland;
  • „Balljungs“ führt durch das Sportthema adressatenorientiert in das Thema „Kinderarbeit” ein, ohne belehrend zu wirken;
  • „Balljungs“ eröffnet die Möglichkeit zu kontroversen Diskussionen über den Umgang mit Kinderarbeit;
  • „Balljungs“ kann eine Auseinandersetzung darüber anregen, was „Fair Play” unter den Bedingungen der Globalisierung über das sportliche Verhalten hinaus für den Alltag bedeuten kann;
  • „Balljungs“ ist ein Steilpass für Handlungsorientierungen: die Veränderung des eigenen Konsumentenverhaltens, die Beteiligung an Kampagnen mit dem Ziel, auf das Verhalten der großen Herstellerfirmen einzuwirken oder die Organisation eigener Sportveranstaltungen unter dem Motto „Fair Play” sind drei von zahlreichen Möglichkeiten, die gemeinsam mit Lerngruppen entwickelt und umgesetzt werden können.

Unterrichtsmaterialien zur Aktion

  • Brot für die Welt (Hrsg.): Fair Play und Eine Welt. Ideen und Materialien für einen handlungsorientierten Unterricht in allen Fächern zum Themenbereich „Sport”. Format DIN A4, 76 Seiten, mit Arbeitsblättern; etwa 9,-- Euro.
  • Brot für die Welt (Hrsg.): Olympia 200 – Fair Life 2000. Aktionszeitung. Mit Informationen über die Produktion fair gehandelter Fußbälle und über die Sportartikelindustrie in Indonesien. Kostenlos.

Literaturhinweis
India Committee of the Netherlands: The dark side of football. Child and adult labour in India´s football industry and the role of FIFA. June 2001. Bezug: India Committee of the Netherlands, Mariaplaats 4, 3511 LH Utrecht, The Netherlands, e-mail: liw@antenna.nl

Medienhinweise
SPIEL DER GÖTTER
Khyentse Norbu, Bhutan/Australien 1999; 94 Min, Spielfilm
EINMAL IM LEBEN INS KINO
Ein Film über Kinderarbeit in Indien
Alice Schmid, Schweiz 1998; 26 Min., Dokudrama
DIE STRASSE GEHÖRT IHNEN
Moustapha Dao, Burkina Faso 1987, 15 Min, Dokumentarfilm

Autor: Uli Jäger
August 2001