Arbeitshilfe

Le Challat de Tunis - Das Phantom von Tunis

Mockumentary von Kaouther Ben Hania.
Tunesien, Frankreich 2013, 90 Minuten, OmU

Kurze Inhaltsangabe

Ausgangspunkt der dokumentarischen Fiktion eines Mockumentary sind reale Ereignisse vom Sommer 2003. Damals schreckte ganz Tunis auf, als ein unbekannter Motorradfahrer, bewaffnet mit einer Rasierklinge, durch die Straßen der tunesischen Metropole fährt und Frauen verletzt, die angeblich „unzüchtig“ gekleidet sind. Zehn Jahre später spürt die Regisseurin Kaouther Ben Hania der Geschichte dieses Phänomens nach und fragt, weshalb viele junge Männer sich noch immer mit dem „Challat“ identifizieren und sich damit brüsten, der „echte Schlitzer“ zu sein, der mit seiner Aktion die Unmoral der Frauen sichtbar machen will. In Gesprächen mit Männern im Kaffeehaus, beim Casting zu einem vermeintlichen Spielfilm, mit angeblichen und wirklichen Opfern des „Challat“ und mit Erfindern des „Challat“-Videospiels und des „Virgin-o-meters“ entdeckt sie den alltäglichen Sexismus der tunesischen Gesellschaft. In einer Mischung aus dokumentarisch wirkenden Teilen und Spielszenen entsteht das Bild einer Gesellschaft, in der hinter der frauenfeindlichen Haltung der Männer auch die ungelösten Probleme des Landes sichtbar werden.

Ausführliche Filmbeschreibung

Vorspann: In einer Radionachricht wird über zwei Messerattentate auf Frauen berichtet. Präsident Ben Ali sei sehr an der Aufklärung des Falls interessiert. Der Täter müsse bestraft werden, um die öffentliche Ordnung wieder herzustellen. Es folgt eine rasende Fahrt auf einem Motorrad. Plötzlich hat der Fahrer ein Skalpell in der Hand, ein gellender Schrei erklingt, dann erscheint der blutrote Titel: „Le Challat de Tunis“.

1. Szene: Hektisch geht es weiter: Die Kamera bewegt sich auf das Tor eines Gefängnisses zu. Eine Schrifteinblendung weist darauf hin, dass 10 Jahre vergangen sind. Ein Gefängniswärter stellt sich der Filmemacherin und ihrem Kameramann entgegen, Filmen sei verboten, ob sie das Schild nicht sähen. Die Filmemacherin Kaouther Ben Hani fragt nach dem Schlitzer, der seit 2003 hier einsitzen soll und besteht auf ihrem Recht zu filmen, sie habe als Filmstudentin eine Dreherlaubnis. Die Auseinandersetzung wird hitzig. Der Gefängniswärter schreit: „Denken Sie, hier ist ein Clubhaus und ich kann einfach Gefängnisgeheimnisse preisgeben?“ Er schlägt auf die Kamera ein.

2. Szene: Eine Frau im Bikini sitzt auf einem Liegestuhl inmitten eines Schrottplatzes. Sie erzählt, dass sie ein Opfer des Challat sei. Als sie mit Freundinnen auf dem Rückweg vom Strand war, habe sie etwas Kaltes im Rücken gespürt. Sie zeigt eine kleine Narbe, die von einem auffälligen Tattoo überdeckt ist. Sie habe keine Anzeige erstattet, da sie kein Aufsehen erregen wollte.

3. Szene: Kaouther hängt in einem Kaffeehaus Zettel auf: „Suche Challat für einen Film. Bitte diese Nummer anrufen“. Männer schauen zu und kommentieren: „Der Challat ist das Produkt unserer muslimischen Kultur. In unserer Gesellschaft bedeutet das Schlitzen, ein Zeichen auf dem Körper einer Person zu setzen.“ Ein anderer mischt sich: „Nein, das hat nichts mit dem Islam zu tun. Wo steht im Koran, Ihr sollt Euren Nächsten schlitzen?“
„Ich habe nicht gesagt ‚im Islam‘“, so die Antwort, „sondern in unserer arabischen Kultur. In manchen arabischen Ländern tragen sie immer noch Dolche als Zeichen der Männlichkeit. Und der Challat liebte frisches Fleisch.“
Kaouther tritt vor das Kaffeehaus. Eine Frau im Minikleid überquert die Straße, Männergruppen stehen vor dem Lokal und schauen ihr aufgeregt lachend nach.
Ein Mann sagt: „Ehrlich, er hat etwas Gutes getan. Wir hatten es satt. Ein berühmter saudischer Prediger sagte einmal, die Straßen von Tunis sind ein Minenfeld der Sünde.“
Kaouther hängt weiter Zettel auf. Ein Mann meint, dass der Challat ein Gerücht sei und es keine Augenzeugen gäbe. Ein alter Mann fügt hinzu: „Ja, wir Tunesier sind die Könige der Gerüchte. Vielleicht war es nur ein Taschendieb, der eine Tasche losschneiden wollte und die Frauen dabei verletzte?“
Im Kaffeehaus geht die Diskussion weiter: „Mädchen müssen respektvoll gekleidet sein“, sagt ein junger Mann. Was das sei, will Kaouther wissen. Sie sei respektvoll gekleidet – aber sie hätte auch Jeans Tragen können. „Dann wäre ich nicht so respektvoll gekleidet?“ fragt Kaouther. Naja, soso … die Antwort.
Ein alter Mann meint, wenn eine Frau ordentlich gekleidet ist, verdient sie Respekt.
Und sonst, fragt Kaouther, verdiene sie es, geschlitzt zu werden? „Nein, aber wenn sie halbnackt aus dem Haus geht …“
Ein jüngerer Mann kommt hinzu: „… ja, dann soll sie geschlitzt werden. Du kannst mich ruhig Extremist oder Djihadist nennen, Anstand ist etwas Gutes. Wenn sich ein Mann nicht um die Kleidung seiner Schwester kümmert, ist er kein Mann.“
Kaouther: „Aber kann sie nicht selbst entscheiden, wie sie sich kleidet?“
„Wenn sie halbnackt aus dem Haus geht und ich als Mann Bedürfnisse habe und sie vergewaltige, dann ist es nicht meine Schuld und ich kann nicht bestraft werden.“

4. Szene: Eine westlich gekleidete junge Frau – es ist die Frau aus Szene 2 – setzt sich mit einer Tasse Tee an den Tisch. Sie raucht. „Es gab keinen Challat“, sagt sie und erzählt: „Als ich Hakim heiratete, war ich 19, die Highschool habe ich abgebrochen. Heirat bedeutete für mich Glück, doch nach kurzer Zeit beachtete er mich kaum noch, ich war nur noch Dekoration. Tattoos waren damals Mode, alle hatten welche. Wenn ich etwas von Hakim wollte, musste ich Wochen vorher fragen, ich habe kein eigenes Geld. Er war natürlich dagegen, aber ich habe es nicht vergessen. Im nächsten Jahr war ich mit Freundinnen am Strand, im Bikini, da schrie einer, der Challat wird sich schon um euch kümmern. Und das brachte mich auf die Idee. Zu Hause nahm ich ein Messer und habe mich selbst geschnitten. Hakim fand mich, fast ohnmächtig vor Schmerz – und Scham“. Sie kämpft mit den Tränen. „Er wollte, dass ich Anzeige erstattete, aber ich wollte nicht. Wochen später hatte ich keine Schmerzen mehr, aber die Narbe blieb. Ich bat Hakim, mir ein Tattoo machen zu lassen, um die Narbe zu verstecken. Er warf mir das Geld hin und sagte: nur zu …“
Kaouther: „Du hast dich für ein Tattoo selbst verletzt?“ – „Ich weiß bis heute nicht, was in mir vorgegangen ist“, so die Antwort.

5. Szene: Kaouther läuft durch Altstadtgassen und trifft auf eine Gruppe von Männern. „Es gibt keinen Challat“, sagt der eine. „Ich war mit ihm im Gefängnis“, ein anderer. „Ich gebe dir einen Challat und du bezahlst ihn“, sagt ein Dritter.
„Ich will keinen Schauspieler“. – „Du willst den Echten?“
„Ich will, dass mein Film echt ist, sonst nehme ich einen Schauspieler“.
„Gib mir ein Skalpell und ein Motorrad und ich mache die Show“.

6. Szene: Theaterraum, innen. Alles ist für das Casting vorbereitet, Probeaufnahmen.
Ein junger Mann tritt nach vorn. Kaouther: „Überzeuge mich, dass Du der Challat bist.“
Er sagt: „Er ist er und ich bin ich, aber wenn du willst, dann bin ich er.“
Der Zweite: „Ich bin auf dem Motorrad unterwegs, schlitze sie und bin weg.“
Der Dritte: „Ich verachte Frauen nicht. Ich habe vielleicht zwei oder drei geschlitzt.“
Der Vierte: „Es war wegen des Mädchens, das ich nicht vergessen konnte. Sie war so sexy, alle in der Nachbarschaft waren hinter ihr her. Ich habe sie geschlitzt, das sollte ihr eine Lehre sein.“
Ein anderer: „Wenn mich ein Mädchen zurückweist, dann schlitze ich sie.“ – Kaouther: „Was willst du von den Mädchen?“ – Er lacht, verlegen, aufreizend: „Schlitzen ist wie ein Orgasmus. Du kannst ihr Gesicht schlitzen, aber der Hintern ist besser. – Alle tun es, Frauen sind Huren.“
Der Erste kommt wieder: „Ich habe Knoblauch an meiner Klinge, dann heilt die Wunde langsamer. Sie kann nicht auf der Toilette sitzen und nicht auf dem Rücken schlafen – sie erinnert sich bei jeder Bewegung an mich. Gut, dass es Frauen gibt, sonst müsste ich mich selbst schlitzen und dafür ist mein Körper zu wertvoll. Wenn ich sie sehe, erregt mich das und ich muss sie belehren.“
Ein junger Mann kommt forsch auf die Bühnen und sagt: „Ich bin der Challat, den du suchst“.
Kaouther: „Was ist auf deinem T-Shirt abgebildet – Scarface? Dann bist du auch nur ein Schauspieler.“
„Ich bin Jalel Dridi und habe als Challat im Gefängnis gesessen. Und nun soll ich die Rolle an einen diese Verlierer abgeben?“

7. Szene: Kaouther geht in eine Polizeistation und fragt einen Polizisten, ob er sich an den Fall des Challat von 2003 und an den Verhafteten Jalel Dridi erinnern könne. Nein, antwortet der Polizist, aber es gäbe Informationen im Gerichtsarchiv.

8. Szene: Kaouther klopft an die Tür eines Anwaltsbüros. Der Anwalt meint, man könne im Gerichtsarchiv nachschauen, Regeln müssten allerdings beachtet werden, da der Angeklagte nicht sein Klient gewesen sei. „Wir haben alle von Challat gehört. Ich hatte Angst um meine beiden Töchter. Aber dann ist die Geschichte wieder verschwunden“.
Kaouther fragt, ob es leicht sei, Akteneinsicht zu nehmen.  – „Früher war es schwer, wenn es sich um bestimmte Fälle handelte. Die gesamte Administration war blockiert. Seit der Revolution ist es einfacher.“

9. Szene: Der angebliche Challat druckt ein Foto aus.

10. Szene: Blick über die Stadt am Morgen. Kaouther läuft über den Markt und fragt, ob jemand den Mann auf dem Foto erkenne. Eine alte Frau sagt, Gott möge uns vor einem so hässlichen Anblick behüten. Sie kommt an einen verschmutzten Fluss, in dem Plastikmüll und ein toter Hund treiben. Ein Mann angelt. Auf die Frage nach dem Foto sagt er, „Er lebt dort drüben.“
„Was angelst du?“ – „Nichts, es ist ein Zeitvertreib“.

11. Szene: Kaouther klopft an eine Tür. Ein Junge öffnet und holt eine Frau. Sie trägt rote Boxhandschuhe und bittet sie hinein. Sie legt die Boxhandschuhe ab, die mit Henna gefärbt Hände freigeben. Sie sagt, ihr Sohn sei im Café, sie könne auf ihn warten. Sie sagt, er sei gut in der Schule gewesen und wollte unbedingt das Land verlassen, als diese ganze Challat-Sache anfing. „Bis heute wollen alle den Challat sehen und niemand glaubt, dass er mein Sohn ist. Mein Sohn war der erste, der verhaftet wurde und dann war er für alle der Challat“.
Als Jalel Dridi den Raum betritt, will Kaouther von ihm wissen, warum er die Frauen geschlitzt habe. Jalel: „Es waren elf Frauen. Das ist Vergangenheit. – Alles begann mit diesem Mädchen. Sie war arrogant. Nicht, dass ich Frauen nicht leiden könnte. Ich hatte schon Tausende.  Aber Verachtung kann ich nicht vertragen.“
Mutter: „Er wollte berühmt werden.“
Jalel: „Sie hätten mich nicht erwischt, wenn mir nicht das Benzin ausgegangen wäre. Auf dem Motorrad bin ich der Beste. Ein Opfer hat mich erkannt. Manchmal sehe ich die Mädchen auf dem Markt.“
Kaouther: „Kannst du mich einer von ihnen vorstellen?“
Jalel: „Ich habe keinen Kontakt, sie sind immer noch traumatisiert.“
Kaouther: „Warst du schon einmal verliebt? – „Ich liebe nur meine Mutter.“
Mutter: „Eine lebte in der Nachbarschaft. Sie sind umgezogen, keine Telefonnummer.“
Jalel: „Liebe gibt es nur im Märchen. Das Leben ist Profit.“
Kaouther: „Was ist, wenn jemand deine Mutter schlitzen würde?“ – „Den würde ich ausradieren.“

12. Szene: Kaouther liest auf einem Friedhof einen Artikel aus dem Jahr 2003 vor: „Zohra D., 15, beging Selbstmord. Sie war Opfer des Challat.“ Jemand säubert das Grab und will Geld dafür, dass er ein Lied vorträgt.

13. Szene: Zu Hause bei der Familie von Zohra. Die Schwestern erzählen ihre Geschichte. Sie hatte einen großen Busen und kein Geld für einen BH. So hat sie in einem Einkaufszentrum einen BH gestohlen, wurde erwischt und vor allen Kunden gedemütigt. Der Verkäufer bestand darauf, dass der Vater informiert wird. Als er kam und den BH bezahlte, war Zohra weg. Sie suchten sie und mussten feststellen, dass sie Selbstmord begangen hatte. Der Vater ist kurz nach ihr gestorben. Der Challat hatte mit ihrem Tod nichts zu tun.

14. Szene: Kaouther trifft den Anwalt im Gericht. Er sagt, dass die Nachforschungen noch andauern.

15. Szene: Der Spielentwickler Marwen stellt das Computerspiel „Challat“ vor. Dabei muss der Spieler möglichst viele Frauen vom Motorrad aus mit einer Rasierklinge verletzen und einem Polizisten ausweichen. Verschleierte Frauen dürfen nicht angegriffen werden. „Das Spiel handelt von unseren kollektiven Fantasien. Der Hintern wurde von Gott in unterschiedlichen Formen geschaffen“, erzählt er ernsthaft. „Einige sind gesegnet, andere bieten kleinere Ziele. Dies erfordert eine gewisse Geschicklichkeit. Verschleierte Frauen tauchen zum ersten Mal in einem Computerspiel auf. Der Challat wird von vielen bewundert.“
„Wie ist dein Verhältnis zu Frauen?“
„Im Herzen bin ich ein wilder Esel. In unserer Religion gilt: gute Männer für gute Frauen. Ich gehöre zu den Guten.“
Kaouther: „Ich denke, du gehörst zu den Schlechten, du bist ein Challat-Fan.“ – „Das gehört zum Spiel dazu.“

16. Szene: Marwen stellt sein Spiel einem Imam vor. Dieser sagt: „Das Spiel zeigt, dass die, die gut gekleidet sind, von Gott geschützt werden, und unterstützt eine anständige Kleiderordnung. Es gibt Männer, die die Verschleierung ausnutzen. Sie gehen vollverschleiert in die Frauenabteilung der Moschee, um Frauen anzufassen. Am leichtesten kommt der Teufel über die Frauen zu den Männern.“
Jalel trifft seinen Freund Marwen beim Kampf der Schafsböcke auf einem Platz.

17. Szene: Jalel schreit hoch zu einem Balkon, woraufhin sein Cousin ein Paket in einem Korb herunterlässt. In seinem Zimmer zeigt Jalel seine Sammlung von Dolchen und Klingen.
Kaouther: „Was hast du von deinem Cousin bekommen?
„Er gab mir eine Frau …“ Er will sie dem Kameramann zeigen, nicht ihr. Es ist eine Gummipuppe.
Jalel: „Sie ist nicht so schön, wie auf der Abbildung. Hat 30 Dinar gekostet.“

18. Szene: Die Kamera fährt über Dächer mit Satellitenschüsseln und kommt in der Wohnung von Jalel und seiner Mutter an.
Jalel: „Vergiss es, ich heirate nicht, ich bin arbeitslos und habe genug Probleme. Wenn sie arbeitet, dann nimmt sie sich einen Geliebten und ich laufe ihr hinterher. Ich hasse Frauen.“
Mutter: „Du willst eine wie mich, eine traditionelle Frau.“

19. Szene: Jalel in einem Kaffeehaus bei einem Date. Sie sagt: „Ich habe schlimme Sachen über dich gehört.“ Ja, sagt Jalel, aber das sei Vergangenheit. Heute sei er 28 Jahre alt und er bedaure, was geschehen sei.

20. Szene: Sie ist Friseurin. In dem Salon, in dem sie arbeitet, wird eine Kundin für die Verlobung mit einem besonderen Kopftuch geschmückt.

21. Szene: Jalel kommt in einen Laden mit gebrauchten Elektrogeräten. Er sei wegen des „Geräts“ gekommen. Der Verkäufer ist wegen des Filmteams beunruhigt, da es keine Lizenz für das Gerät gäbe. „Deshalb sind wir vorsichtig“. Er erklärt Jalel: „Mit diesem neuen Gerät kannst du ganz sicher sein. Es heißt Virgin-o-meter. Die Antenne wird in den Urin getaucht, 5 Minuten warten und den Knopf drücken. 10 auf der Skala bedeutet, sie ist clean. Über 20 zeigt, dass sie keine Jungfrau mehr ist. Der Apparat ist keine Frage der Kreativität, sondern des Gemeinwohls. Früher gab es das Blut auf dem Bettlaken in der Hochzeitsnacht, heute gibt es diese Technik.“ Er ruft seine Chefin an. Schließlich führt er ihn in ein oberes Stockwerk. Eine mittelalte elegante Frau sitzt hinter einem Schreibtisch vor einem Mac.
Kaouther fragt: „Wer hat den Apparat erfunden?“
Madame: „Ich. In Japan traf ich Wissenschaftler, die darauf spezialisiert waren. In den USA gab es Geld für die Investition. In Tunesien gibt es keine Lizenz. Die Regierung hätte sie längst erteilen können. Im Wahlkampf haben sie kollektive Hochzeiten organisiert. Das entspricht meinem Verständnis, ich bin sehr mit der Regierungspolitik einverstanden. Es gibt ein chinesisches Produkt auf dem arabischen Markt, es heißt „Gigimo“, eine kleine Kapsel mit einer roten Flüssigkeit, die wie Blut aussieht, so dass die Braut in der Hochzeitsnacht vorgeben kann, Jungfrau zu sein. Das steht im Gegensatz zu Gottes Wille, zu tunesischen Prinzipien und unseren Sitten und Gebräuchen. Sich vorzustellen, dass dieses Produkt auf dem Markt ist und der Virgin-o-meter keine Lizenz hat, das ist ein Skandal. Was gibt den Chinesen das Recht, sich bei uns einzumischen? Sie haben nicht dieselben Wurzeln und Religion. Junge Menschen wollen heiraten, aber sie wissen nicht wen. Mit dem Apparat können sie sich sicher sein.“

22. Szene: Jalel beim Thaiboxen. Techno-Musik im Hintergrund.

23. Szene: Im Café, in dem er mit dem Mädchen verabredet ist, manipuliert er die Wasserspülung auf der Toilette. Sie beschwert sich über das Filmteam, das immer dabei ist. Er wiegelt ab. Er hofft, dass sie vertrauenswürdig ist. Sie weiß, dass eine gute Beziehung auf Vertrauen, Ehrlichkeit, Verständnis und Respekt basiert. Die Soap „Mouhande“ mag sie am liebsten, er hasst das. Er ist ihr erster Freund. Er meint, sie könnten im Sommer heiraten. Er drängt sie, mehr Cola zu trinken. Schließlich geht sie zur Toilette. Er blinzelt in die Kamera. Dann geht das ganze Team auf die Toilette, er packt den Virgin-o-meter aus. Sie sieht das und läuft verärgert weg. Er folgt ihr aber sie verjagt ihn voller Wut.

24. Szene: Vor einem Haus wird ein Schild befestigt: „Challat Clash“. Jalel und Marwen haben einen Spielsalon eröffnet. Jalels Mutter läuft mit einem Rauchfässchen durch den Raum, um das Vorhaben zu segnen. Der Laden ist voll besetzt. Die schrillen Schreie der geschlitzten Spielfiguren erfüllen den Raum. Eine Frau tritt ein und fragt nach dem Besitzer. Sie ist empört, dass Kinder durch das Spiel zu Schlitzern erzogen werden. Es sollte verboten werden, da es Gewalt gegen Frauen fördere und das sei strafbar. Eine Kinderrechtsorganisation würde die Schließung veranlassen. Das Gespräch wird hitzig geführt. Jalel fragt, was denn ihr Problem sein. Wenn ihr Sohn spiele, dann solle sie ihn eben besser in den Griff bekommen.

25. Szene: Kaouther geht erneut zum Anwalt. Es sei ihm gelungen, Informationen zum Fall Challat zu bekommen, auch wenn dieser schon alt sei. Aber sie sei sicher enttäuscht, denn Jalel sei nicht der Schlitzer, auch wenn er in diesem Fall angeklagt wurde. Zwar hätten 11 Opfer ausgesagt, aber er sei es nicht gewesen. Der Challat sei wohl verschwunden.

26. Szene: Ein Haus von außen. Eine Frau will aus Angst nicht gefilmt werden.
2. Frau: „Als ich mit meiner Schwester zur Apotheke ging, um Medikamente für ihren kranke Sohn zu holen, wurde ich angegriffen.“
3. Frau: „Mein Rock war zerrissen, ich war traumatisiert.“
4. Frau: „Als wir zur Ambulanz kamen sagte die Schwester, das ist die Vierte. Es war nichts persönliches, ein Verrückter.“
3. Frau: „Der Alptraum begann bei der Polizei. Sie bringen es fertig, dass du dich schuldig fühlst, wenn du Anzeige erstattest. Sie suchten nach einem Sündenbock.“
5. Frau: Sie führten mir fünf Männer vor, aber ich erkannte keinen. Sie sagten, schau noch einmal genau hin. Die Polizisten zeigten auf einen und schlugen ihn. Ich schwor, dass er es nicht war und dass sie aufhören sollten. Sie schlugen ihn weiter und sperrten ihn ein. Aber sie mussten ihn aus Mangel an Beweisen frei lassen. Es war Jalel aus Ezzouhour. Seine Mutter bedankte sich später bei mir aber ich sagte, wenn er es gewesen wäre, dann hätte ich es gesagt.“
4. Frau: „Mir wurden sieben Männer vorgeführt, ich war im gleichen Raum wie sie. Einer hätte es gewesen sein können, er trug Handschellen. Es war offensichtlich, dass sie mich manipulieren wollten. Nach der Gegenüberstellung bat ich darum, nach Hause gefahren zu werden. Ein Polizist setzte sich neben mich und begann, mich anzufassen. Ich konnte es kaum glauben. Er legte die Hand auf meine Brust. Ich war fassungslos. Ich realisierte, dass er dachte, wenn der Challat hinter mir her war, dann müsse ich unanständig angezogen gewesen sein. Für ihn hatte ich es somit verdient. Der Polizist beendete, was der Challat begonnen hatte.“
5. Frau: „Es war keine einheitliche Tat. Ich hatte lose Kleidung an. Vielleicht waren es zwei oder drei Challats? Es kam nichts dabei heraus. Alle beschrieben ihn anders. Vielleicht ist er tot oder kämpft in Syrien. Er wollte berühmt sein. Es muss aufregend sein, der Challat zu sein, besser als ein Hochschulabsolvent oder Arzt oder Rechtsanwalt. Das ist eine tunesische Spezialität. Jeder hat seine Art zu schlitzen, mit Klingen oder Worten. Und es ist noch nicht vorbei.“
4. Frau: „Frauen sind immer das Ziel. Das steckt in unserem kollektiven Bewusstsein.“

27. Szene: Kaouther klopft an Jalels Tür, keiner öffnet. Die Mutter hängt auf dem Dach Wäsche auf. Sie habe ihn seit zwei Tagen nicht mehr gesehen. Vielleicht ist er emigriert, der Laden wurde ausgeraubt.
Kaouther: „Als ich herkam sagte er, er sei der Challat.“
Mutter: „Das stimmte nicht. Er wollte nur nicht alles sagen. Das Schlitzen ging weiter, als er in Haft war. Er bat mich, es Ihnen nicht zu sagen, er war verlegen.“
Kaouther geht zu Marwen. Er weiß nicht, wo Jalel ist und will nicht gefilmt werden. „Ich will dich nicht mehr sehen. Sag deinem Kameramann, er soll Joghurtwerbung machen.“

28. Szene: Jalel sitzt mit sechs anderen Männern in einer Gefängniszelle. Sie singen und amüsieren sich. Kaouther steht, wie in der Anfangsszene, vor dem Gefängnistor. Sie trifft Jalel im Besuchsraum.
Kaouther: „Ich weiß, dass du nicht der Challat bist. Wer war es dann?“
Jalel: „Jemand, der mir ähnlich war und dann haben andere mich kopiert. Es gab keinen originären Challat. Sieh nur, wie du dich im Kreis drehst und jetzt stehst du wieder vor mir. Sag einfach, ich war es.“
Kaouther: „Es ist ein Unterschied, ob ich es sage oder ob du es warst.“
Jalel: „Denk an mich als Challat. Und vielleicht steht Gott dir bei.“
Er verlässt den Raum, lächelnd.

Im Abspann heißt es, dass es elf Opfer eines Challat in Tunesien gab. Weitere Opfer seien in Ägypten, Syrien und anderen Ländern gemeldet worden.

Würdigung und Kritik

Dieser Film ist eine Zumutung: Was ist wahr, was falsch, was eine bewusste Irreführung und was absurde Erfindung? Kaouther Ben Hania selbst gibt Aufschluss (siehe Bonusmaterial auf der DVD): „Ich wollte verschiedene Geschichten gleichzeitig erzählen, das Portrait vieler möglicher Challats zeichnen. 2003, als die Ereignisse tatsächlich stattfanden, war eine ernsthafte Recherche nicht möglich, doch es interessierte mich, was sich hinter dem, was nur die Spitze des Eisbergs zu sein schien, eigentlich verbarg“.

Unter der Diktatur Zine el-Abidine Ben Alis war eine Kritik an Polizei und Justiz gefährlich. Zehn Jahre später aber war die Situation eine andere. Ende Dezember 2010 machte sich der politische Unmut der Bevölkerung in der sogenannten „Jasminrevolution“ Luft. Auslöser der landesweiten Massenproteste war die Selbstverbrennung des Gemüsehändlers Mohamed Bouazizi am 17. Dezember 2010 in Sidi Bouzid, der zum Sturz des Präsidenten Ben Ali und zu einer zaghaften Demokratisierung führte. Kaouther Ben Hania konnte sich nun mit dem Phänomen des Challat beschäftigen und gleichzeitig zeigen, was es bedeutete unter den Zeichen der Diktatur, in der die Wahrheit per se von den Verantwortlichen nach eigenem Gutdünken verschleiert werden konnte, eine Recherche durchzuführen. „Jetzt konnte ich alles neu erfinden, falsche Fährten legen, Leute einführen, die ganz andere Geschichten zu erzählen haben, an Orte gehen, an denen etwas passiert, was mit dem Film gar nichts zu tun hat. Ich ging den Weg der Subjektivität bis zum bitteren Ende. Ich wollte, dass man sich beim Sehen ständig fragt: was ist Wirklichkeit und was Fiktion oder pure Fantastik? Man hat etwas gehört, man zweifelt – für das, was Gerüchte in Menschen auslösen, wollte ich eine filmische Entsprechung finden.“

Und sie führt auch gleich ein Beispiel an. Im Film tauchen zwei Polizisten auf. Der erste vor dem Gefängnis ist ein Schauspieler, von dem alle echten Gefängniswärter meinten, dass man ihm diese Rolle nie abnehmen würde, da die Tressen an der Uniform fehlten und er unrasiert sei – eine Unmöglichkeit in der tunesischen Polizei. Der zweite ist der echte mit dem Fall des Challat befasste Polizist. Da er an seinem realen Arbeitsplatz in der Polizeistation nicht gefilmt werden durfte, wurde sein Amtszimmer von einer Ausstatterin an einem anderen Ort nachgebaut – als reines Dekor. Was stimmt nun also, was nicht?

Nach dem Sturz Ben Alis hatte Kaouther Zugang zu den polizeilichen Akten und stieß auf den Namen Jahel Dridi, der als Hauptverdächtiger galt, aus Mangel an Beweisen jedoch wieder auf freien Fuß gesetzt werden musste. Als Kaouther ihn ausfindig gemacht hatte, beteuerte er sofort seine Unschuld, er schien es aber als späte Genugtuung aufzufassen, in einem Film, in dem am Ende die Wahrheit aufgedeckt wird, den Challat zu spielen.

„Ich musste das Absurde herausstellen und Dinge kreieren wie das Videospiel und den Virgin-o-meter, um das Archaische, das hinter dem Schlitzen steckt, der Lächerlichkeit preiszugeben und gleichzeitig die Männer, als potentielle Challats, bloß zu stellen. Und ich wollte den spöttischen Humor aufgreifen, der der tunesischen Gesellschaft eigen ist. Selbst über die bittersten Themen wird sich lustig gemacht, als Resultat und Erbe der Diktatur, in der über nichts offen gesprochen werden konnte.“

Ohne den Humor, so Kaouther Ben Hania weiter, wäre es ein jämmerlicher Film über die Situation der arabischen Frauen als ewige Opfer geworden – eine Haltung, die sie nicht teile, da sie auf sie persönlich nicht zutreffe.

Eine andere Sichtweise
Die junge in Ägypten geborene und in Saudi Arabien aufgewachsene Journalistin und Frauenaktivistin Mona Eltahawy nimmt in ihrem Buch „Warum hasst ihr uns so?“ eine völlig andere Haltung ein. Man könnte sagen, dass ihr angesichts der immer brutaler werdenden Unterdrückung von Frauen der Humor vergangen ist. Ihr Plädoyer „Für die sexuelle Revolution der Frauen in der islamischen Welt“ ist eine Tour de Force durch Länder wie Saudi Arabien, Tunesien, Marokko, Ägypten oder Jemen, wo sie Frauen getroffen hat, die für ihre Rechte kämpfen und dafür zum Teil mit schweren Beschuldigungen und Strafen rechnen müssen. Gleichzeitig ist ihr Buch eine Aufarbeitung der Frauenbewegung in arabischen Ländern, die auf eine lange antikoloniale Geschichte zurückblicken kann. Ihre eigene Hinwendung zum Feminismus verbindet sie mit Namen wie Nawal El Sadaawi aus Ägypten und Fatima Mernissi aus Tunesien, die in den 80er und 90er Jahren über Frauenrechte publizierten und, wie Nawal El Saadawi mit Gefängnis und nach Morddrohungen mit Exil bestraft wurden. Wie Nawal El Saadawi fasst auch Mona Eltahawy den Mut, ihre eigenen persönlichen Erfahrungen als Frau als gesellschaftlich relevant und politisch zu verstehen und darüber zu schreiben. Das reicht von ihrem Kampf, den Nikab abzunehmen, bis zu den Gewalterfahrungen, die sie bei den Protesten auf dem Tahrir-Platz erleben musste, denen sie sich als Frau und selbstbewusster Teil des arabischen Frühlings, angeschlossen hatte. Nach den Ereignissen in Tunesien hatte der revolutionäre Umbruch auch Ägypten erfasst und zum Rücktritt des langjährigen Staatspräsidenten Husni Mubarak geführt. Doch die Hoffnung auf Demokratisierung und politische Teilhabe der Frauen erfüllte sich nicht. Während in Ägypten, so Mona Eltahawy, Frauen im Zuge der Revolution von 2011 ihre Schleier abnahmen, war in Tunesien eine andere Bewegung zu beobachten. Dort war es unter dem Diktator Ben Ali verboten, in öffentlichen Einrichtungen und staatlichen Schulen und Universitäten verschleiert zu erscheinen. Nachdem Ben Ali aus Tunesien geflohen war, gab es Druck von der bislang unterdrückten Seite islamischer Hardliner. So gab es Berichte, dass Salafisten Frauen, die kein Kopftuch trugen bedrängten und die Kopfbedeckung in der Öffentlichkeit einzuführen versuchten. Tunesien gilt aufgrund seiner weitgehend modernen Rechtsprechung in Ehe- und Familienfragen als das liberalste arabische Land. So wurden Scheidungen schon 1956 legalisiert und seit 1973 ist Abtreibung bis zur zwölften Woche erlaubt. Die Modernisierung wurde jedoch von einer westlich geprägten Elite unter Diktator Ben Ali vorgegeben, eine tiefgreifende Debatte um die Rolle der Frau in der Gesellschaft hat es nicht gegeben und die ländlichen Regionen, die die Modernisierung ablehnten und traditionelle Familienstrukturen befürworteten, wurden weder in einen gesellschaftlichen Duiskurs einbezogen, noch sonst in den Entscheidungen berücksichtigt. In Tunesien, so legt Mona Eltahawy dar, gibt es sowohl Gesetze gegen sexuelle Belästigung als auch zum Schutz vor häuslicher Gewalt. Doch kommen diese selten zur Anwendung, denn es sind immer „dieselben kulturellen Kräfte am Werk: das Tabu, sich öffentlich zu äußern, die Jungfräulichkeitsmanie und die Beschuldigung der Opfer. Aktivisten beklagen, dass es den Frauen obliegt, zu beweisen, dass Übergriffe regelmäßig vorkommen. Zudem ist das Gesetz von einer moralisierenden Sprache durchsetzt, mit der die ‚Verletzung der guten Sitten‘ angeprangert werden soll.“

Kurz nachdem Jalel und sein Freund den Spielsalon eröffnet haben, betritt eine empörte Frau den Raum und stellt die beiden zur Rede. Sie verweist darauf, wie absurd und gefährlich es ist, was die beiden Männer mit ihrem Spiel anrichten, welchen verheerenden Eindruck es bei Kindern und Jugendlichen hinterlässt und dazu beiträgt, ein negatives Frauenbild  in der Gesellschaft zu verfestigen. Erst nach diesem mit Nachdruck vorgetragenen Protest lässt Kaouther Ben Hania in ihrem Film die Opfer zu Wort kommen, die in aller Ernsthaftigkeit ihre Erlebnisse schildern.

Kaouther Ben Hania stellt ein absurd überzeichnendes Mockumentary vor, das zum Kopfschütteln und Lachen reizt; Mona Eltahawy verfasst ein vehementen Plädoyer für die Rechte und die Unabhängigkeit von Frauen in islamischen Ländern: Doch letztlich sind beide Ansichten die zwei Seiten einer Medaille.

Was ist ein Mockumentary?

Mockumentary ist ein Filmgenre und die Bezeichnung für einen fiktionalen Dokumentarfilm, der einen echten Dokumentarfilm oder das ganze Genre parodiert. Dabei werden oft scheinbar reale Vorgänge inszeniert oder tatsächliche Dokumentarteile in einen fiktiven bzw. erfundenen Zusammenhang gestellt. Es ist ein geläufiges filmisches Genremittel für Parodie und Satire und setzt sich somit oft dafür ein, ein stärkeres medienkritisches Bewusstsein beim Publikum zu schaffen. Der Begriff ist ein Kofferwort (englisch (to) mock = ‚vortäuschen‘, ‚verspotten‘ (sich mokieren) und documentary = ‚Dokumentarfilm‘) (aus: wikipedia).

Kaouther Ben Hania sagt, dass sie sich und ihren Kameramann in der ersten Szene als Filmstudierende einführt, um die Ausgangslage zu erklären, und sich damit auf die Filme „REC“(von Jaume Balagueró und Paco Paza, Spanien 2007, 75 Min.) und „Blair Witch Project“ (von Daniel Myrick und Eduardo Sanchez, USA 1999, 78 Min.), in dem gleich am Anfang auf das gefundene Filmmaterial verwiesen ist, bezieht. Bei beiden Filmen handelt es sich um ausgewiesene Horrorfilme. Aber auch Michael Moore wird als Ideengeber genannt, der seine Recherche vor der Kamera vorführt und zeigt, wie sich die Einzelteile zu einem Dossier zusammenfügen. Es scheint auch möglich, dass das völlig überdrehte Mockumentary „Borat“, in dem der vermeintliche kasachische Journalist US-amerikanische Bräuche studiert, um sie seinen Landsleuten näher zu bringen, ihr als Anregung diente.

Über die Regisseurin Kaouther Ben Hania

Kaouther Ben Hania, 1977 in Tunesien geboren, studierte Film an der Ecole des Arts et du Cinéma, Tunis, und an der Université Paris-Sorbonne und der La Fémis, Paris. Während des Studiums realisierte sie mehrere Kurzfilme, darunter „La Brèche“, der mehrere Preise erhielt. „Le Challat de Tunis“ ist ihr erster Langfilm.

Filmographie eine Auswahl:
2015 Zaineb takrahou ethelj (Zaineb Hates the Snow)
2013: Le Challat de Tunis
2013: Peau de colle
2010: Les Imams vont à l’école
2006: Moi, ma sœur et la chose
2004: La Brèche

Didaktische Hinweise

Der Film eignet sich für den Einsatz ab Sek. II (Sozialkunde, Medien, Politik) und besonders für die Erwachsenenbildung und medienbezogene Studiengänge. Dabei können folgende Fragenkomplexe behandelt werden:

  • Die filmische Form;
  • Frauenrechten und Feminismus, Frauenbilder und Kleiderordnung;
  • Männerbilder und Machismo.

Vor der Vorführung empfiehlt sich eine Einführung, um die besondere filmische Form des Mockumentary vorzustellen und erste Fragen zu formulieren, auf die die Zuschauerinnen und Zuschauer während des Sehens besonders achten können. Je nach Zusammensetzung des Publikums könnte es interessant sein, das Augenmerk der Männer auf die Handlungsweisen der männlichen Protagonisten des Films zu lenken, das der Frauen auf die der weiblichen Protagonistinnen: Wer spielt wann einen aktiven Part? Wer ist Täter, wer Opfer? Wo sind die Rollen nicht klar einzuordnen?
Bevor der Film im Plenum besprochen wird, kann der Austausch über die ersten Eindrücke in Kleingruppen sinnvoll sein.

Fragen zum Film:

  • Welche Teile des Films werfen für Sie die Frage auf, ob es sich um Realität oder Fiktion handelt? Hierbei können Sie sich auf die ausführliche Inhaltsangabe beziehen.
  • Welche Rolle spielt es, dass Kaouther Ben Hania und ihr Kameramann immer wieder als Akteure ins Bild treten?
  • Was halten Sie davon, das Kaouther Ben Hania mehrfach betont, dass sie einen „echten“ Film machen will?
  • Hat Kaouther Ben Hania ihr Ziel, die Geschichte des Challat aufzudecken, erreicht? Wo ist sie als handelnde Regisseurin, die über ihren Film entscheidet, sichtbar? Wie interpretieren Sie die letzte Szene?
  • Welche Darstellung der vermeintlichen Opfer des Challat halten Sie für wahr, welche für erfunden?

Fragen zur filmischen Form / zu Realität und Fiktion in den Medien:

  • Was ist Objektivität im Dokumentarfilm?
  • Was unterscheidet einen Dokumentarfilm von einem „Mockumentary“?
  • Was sind „Fake-News“? Wann ist Ihnen dieser Begriff zum ersten Mal begegnet? (Das gleiche gilt für die Begriffe: „alternativ facts“ oder „Lügenpresse“).
  • Wo fühlen Sie sich aufgefordert, Film- und Medienbilder, die entscheidend unsere Weltsicht prägen, zu hinterfragen? Welche Mittel stehen Ihnen hierfür zur Verfügung?
  • Berichten Sie von einem absurden Fall aus den Medien, in dem sich für Sie die Bereiche Fiktion und Realität vermischt haben. Kennen Sie ein Beispiel jüngeren Datums?

Männerbilder / Frauenbilder / Genderfragen:

  • Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich gegen ein allgemeines Verschleierungsverbot ausgesprochen. Zwar sehe sie in der Vollverschleierung ein großes Hindernis für die Integration, sagte Merkel auf einer internationalen Parlamentarierkonferenz zur Religionsfreiheit. Doch gehöre zur Religionsfreiheit auch, seinen Glauben öffentlich bekunden zu dürfen – auch wenn es „uns befremden mag“. (zitiert nach Zeit online, 14.09.2016).
  • Diskutieren Sie das Für und Wider eines Verschleierungsverbotes aus Ihrer persönlichen Erfahrung.
  • Recherchieren Sie die verschiedenen Formen der Verschleierung und Verhüllung (z. B. Kopftuch, Tschador, Nikab, Burka, Hidschab). Welche Formen sind Ihnen geläufig?
  • Welche Kleiderordnungen für Frauen gibt es in Deutschland / in anderen europäischen Ländern? Folgende Aspekte könnten einen Richtungshinweis für die Diskussion gebe:
    - „Kleider machen Leute“;
    - die Debatte um das Burkini-Verbot an Frankreichs Stränden im Sommer 2016;
    - die Überzeugung arabischen Reformer des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, dass orientalischen Länder – einschließlich Türkei und Iran – den technischen und industriellen Vorsprung Europas nur aufholen können, wenn sie neben Gesetzen, Politik und Bildungseinrichtungen auch den europäischen Lebensstil übernehmen. („Am radikalsten setzte Kemal Atatürk diese Überzeugung in der Türkei um, als er Fez und Kopftuch verbannte. Seine Ehefrau soll er dazu angehalten haben, in kurzen Röcken tanzen zu gehen“, zitiert nach: Hannah Wettig, siehe Literaturhinweise).
  • Was ist „Racial Profiling“? (Der Begriff führte anlässlich der Vorgehensweise der Kölner Polizei in der Silvesternacht 2017, also ein Jahr nach den Silvestervorfällen 2016, bei denen angeblich Hunderte von Frauen von Männern nordafrikanisch-arabischer Herkunft bestohlen und sexuell belästigt wurden, zu erheblichem innenpolitischem Aufruhr).
  • Alice Schwarzer vertritt in dem von ihr herausgegebenen Buch „Der Schock – Die Silvesternacht von Köln“ die These, dass junge, vornehmlich aus Nordafrika stammende Männer mit ihren Angriffen auf Frauen gezielt provozieren wollten. Nach Silvester 2017 sagte sie, „bei den Verdächtigen handele es sich um ‚entwurzelte, brutalisierte und islamisierte junge Männer vorwiegend aus Algerien und Marokko‘. Dass sie trotz des zu erwartenden Polizeiaufgebots angereist waren, sei laut Schwarzer ‚eine Machtprobe‘ gegenüber dem Staat gewesen“. (zitiert nach: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/silvester-in-koeln-alice-schwarzer-wirft-nordafrikanern-provokation-vor-a-1128602.html)
    Was halten Sie von dieser Aussage?
    Kann ein Vergleich zwischen dem hier Zitierten und dem Film von Kaouther Ben Hania gezogen werden?

Filme:

Im arabischen Kino spielen Frauen auch als Regisseurinnen eine wichtige Rolle, die, oftmals pendelnd zwischen Europa und arabischen Ländern, Frauenthemen auf die Leinwand bringen. Aber auch für ihre männlichen Kollegen spielen die Themen von Ungleichheit und Unterdrückung in vielen aktuellen Filmen eine Rolle. Die junge tunesische Regisseurin Leyla Bouzid stellt eine junge Sängerin in den Mittelpunkt ihres Films „Kaum öffne ich die Augen“, die, kurz vor den Veränderungen durch den arabischen Frühling erleben musste, wie sie gewaltsam in ihre Schranken als Frau verwiesen wird. Ihr Vater Nouri Bouzid stellt zwölf Jahre früher die Rolle von Hausmädchen, die vom Land in die Stadt gebracht wurden, um verschwiegen und akzeptiert auch sexuell zu Diensten zu sein, in den Mittelpunkt seines Films „Puppen aus Ton“. Der Ägypter Mohammed Diab bezieht sich in seinem Film „Kairo 678“ auf die wahren Begebenheiten sexueller Belästigungen und wie sich Frauen dagegen wehren. Der tunesische Regisseur Mohammed Ben Attia erzählt in seinem ruhigen Film „Hedis Hochzeit“, wie nicht nur Frauen, sondern auch Männer unter der rigiden Sexualmoral und der Unmöglichkeit, eine Liebe zu leben, leiden. Mit einem ganz ähnlichen Thema, aber völlig auf den Kopf gestellt, befasst sich der aus Saudi Arabien stammende Filmemacher Mahmoud Sabbagh in seinem Film „Barakah Meets Barakah“. In einer Gesellschaft, in der jede Annäherung zwischen den Geschlechtern verboten ist, zeigt die Liebeskomödie die Vielzahl an verworrenen Möglichkeiten eines zarten Kontakts.

Kaum öffne ich die Augen
Ein Film von Leyla Bouzid. Tunesien, Frankreich 2015, 102 Min. OmU
Kairos Filmverleih

Kairo 678
Ein Film von Mohammed Diab. Ägypten 2010, 100 Min., OmU
EZEF

Amal
Ein Film von Ali Benkirane. Marokko, Frankreich 2003, 17 Min. OmU
Der Film ist Teil der Kompilations-DVD „Anna, Amal, Anousheh – Mädchen zwischen Rollenmustern und Selbstbestimmung
EZEF

Hiyab – das Kopftuch
Ein Film von Xavi Sala. Spanien 2005, 9 Min. OmU
Der Film ist Teil der Kompilations-DVD „Bilder im Kopf – Klischees, Vorurteile, kulturelle Konflikte
EZEF

Hedis Hochzeit
Ein Film von Mohammed Ben Attia. Tunesien, Belgien, Frankreich, Katar, Vereinigte Arabische Emirate 2016, 88 Min. OmU
Arsenal Filmverleih

Making of – Kamikaze
Ein Film von Nouri Bouzid. Deutschland, Tunesien, Marokko, Frankreich 2006, 115 Min. OmU
EZEF

Puppen aus Ton
Ein Film von Nouri Bouzid. Tunesien, Frankreich 2003, 90 Min. OmU
EZEF

Barakah Meets Barakah
Ein Film von Mahmoud Sabbagh. Saudi Arabien 2016, 88 Min. OmU
Arsenal Institut für Film- und Videokunst

Literatur:

Mona Eltahawy: Warum hasst ihr uns so? Für die sexuelle Revolution der Frauen in der islamischen Welt. München, Berlin 2015
Rebecca Hillauer: Freiräume – Lebensträume. Arabische Filmemacherinnen. Bad Honnef 2001
Necla Kelek: Hurriya heißt Freiheit: die arabische Revolte und die Frauen; eine Reise durch Ägypten, Tunesien und Marokko. Köln 2012
Karim El-Gawhary: Tagebuch der arabischen Revolution. Wien 2011
Fatima Mernissi: Die vergessene Macht. Frauen im Wandel der islamischen Welt. Frankfurt/M. 1997
Fatima Mernissi: Die Angst vor der Moderne. Frauen und Männer zwischen Islam und Demokratie. Hamburg 1992
Mithu M. Sanyal: Vergewaltigung. Hamburg 2016
Nawal El Saadawi: Tschador. Frauen im Islam. Bremen 1980
Hannah Wettig: Selbstbewusst zwischen den Welten. iz3w 337 Juli/August 2013
Claudia Mende: Aufbruch unter dem Regenbogen. welt-sichten 4-2016
Alice Schwarzer (Hg.): Der Schock – die Silvesternacht von Köln. Köln 2016
Astrid Messerschmidt: Nach Köln - Sprechen über Sexismus und Rassismus. Tübingen 2016
http://www.rassismuskritik-bw.de/nach-koeln-sprechen-ueber-sexismus-und-rassismus/
Seyran Areș: Der Islam braucht eine sexuelle Revolution. Eine Streitschrift. Berlin 2009

Was ist eigentlich ein Dokumentarfilm? Eine Einführung: http://www.planet-schule.de/dokmal/

Autorin: Bettina Kocher
Redaktion: Bernd Wolpert

Februar 2017