Arbeitshilfe

Algo-Rhythm

Experimentalfilm von Manu Luksch
Österreich, Großbritannien, Senegal 2019, 14 Minuten, OmU

Inhalt

Dakar, Senegal, und doch ein unbestimmter Ort zu einer unbestimmten Zeit: Zwei Kandidatinnen (Nummer 1 und Nummer 2) treten zur Wahl an, beide wollen Präsidentin werden. Die eine ist jung und ambitioniert, die andere erfahren und abgebrüht. Beide wissen sie, weder ein überzeugendes Programm, noch die Mittel eines traditionellen Wahlkampfes werden zum Erfolg führen. So engagieren sie einen Wahlkampfhelfer der besonderen Art, einen digitalen Djinn, einen algorithmischen Geist, einen logisch denkenden Seher, Mr X. Was sie nicht wissen, beide schenken sie ihr Vertrauen derselben Zauberformel, denselben Versprechungen. 

Wahlbetrug, Bestechung, die Gegenseite hinter Gitter bringen, Gewalt, all diese Methoden seien längst überholt, das ginge nun wesentlich subtiler, eleganter. Daten, Daten, Daten, darin liege das Geheimnis. „Ich spioniere die Leute nicht einfach aus, ich kann ihre Gedanken lesen, komplett!", so Mr X, der CEO von Data Analytica, ein elegant gekleideter Mann mittleren Alters, im schwarzen Anzug, weißem Hemd und Krawatte, langen gepflegten, geflochtenen Dreadlocks und Hut. Das abstrakte X verweist hier weniger auf eine Leerstelle unbekannter Vorfahren, wie etwa bei Malcolm X; die Spur führt vielmehr zum letzten Buchstaben des Namens des ehemaligen CEO von Cambridge Analytica, Alexander Nix, nach dessen Vorbild die Figur des Mr X geschrieben wurde. Die Leute würden es lieben, ihre intimsten Geheimnisse auszuplaudern, in den neuen Netzwerken und sozialen Medien ihr Leben schamlos auszubreiten. All das seien Goldminen persönlicher Daten und privater Information.

Von einer Film-Handlung zu sprechen führt in die Irre. Alle Figuren, die in den knapp fünfzehn Minuten auftauchen, repräsentieren eine Haltung, eine Sichtweise, eine Position, sind aber nicht miteinander in Handlungen verwickelt. Es treten auf: die beiden Präsidentschaftskandidatinnen, Mr X/CEO von Data Analytica, Mr Y/Fernsehsprecher von Good News, ein Graffiti Künstler, das Volk, eine Geschichtenerzählerin, Griot Tassoukat genannt. „Algo-Rhythm“ erzählt keine Geschichte, sondern vermittelt eine Botschaft. Die Figuren mit ihren jeweils unterschiedlichen Positionen bewegen sich in Paralleluniversen, sie reimen im Sprechgesang, berühren und beeinflussen sich aber nicht gegenseitig, sie beziehen sich nur indirekt aufeinander, ihre Botschaft richtet sich an uns ZuschauerInnen.

Die beiden gestylten Präsidentschaftskandidatinnen und Mr X stehen vor dem Hintergrund künstlicher Räume, inmitten vielschichtig digital animierter Bilder, schwebender Körper als 3D print, voller Begehren nach künstlicher Intelligenz. Figuren, die das Volk repräsentieren, die Nutzer, bewegen sich in den "realen" Straßen, im Kiosk, am Markt, im Taxi. Affirmativ-ironisch antworten sie den Prognosen des Daten-Zauberers. Wer habe schon Zeit, die Nutzungsbedingungen zu lesen? Klar gebe man Name, Adresse und Beruf an und dann sei man auch schon "drin"; Bilder, Kommentare, Kurznachrichten werden "geposted", Beiträge mit "Daumen hoch" versehen; man begrüße die neue moderne Welt, Grenzen würden bröckeln, Distanzen schrumpfen, ein anderer Kontinent wird zum Nachbarn. Sie tun so, als seien sie ihren Überwachern schon wieder einen Schritt voraus. Oder ist es doch nur eine Illusion?

Utopien aus den Anfangstagen des Internet werden aufgerufen. Ein junger Mann in T-Shirt und offenem Hemd schreitet lässig eine Außentreppe herunter, als betrete er eine Bühne. Internet sei Werkzeug für alle, ein Ort der Freiheit, wo Revolutionen geboren würden, ein Raum, um Informationen zu teilen und auszutauschen. Im Hintergrund ist die Spitze des African Renaissance Monument zu sehen, das an eine andere alte Idee der Vernetzung erinnern sollte, einen pan-afrikanischen Verbund. Die riesige Statue, vom ehemalige Präsidenten Abdoulaye Wade in Auftrag gegeben und in Nordkorea produziert, wurde jedoch zum Symbol der Korruption und des Verrats, zumindest für die Bevölkerung, nicht für die Führungseliten.

Ein weiterer Bürger mit Kapuzenpulli, Rhapsod, schlurft um die Ecke und er hält dagegen: im Netz würde man lernen und spielen, tolle neue Freunde finden, das sei alles unbenommen. Aber ob man sich sicher sei, auch die Kontrolle darüber zu haben? Versteckte Algorithmen, Berechnungen, die die Interessen der Nutzer prozessieren und dann versuchten, sie zu manipulieren. „Während sie anzeigen, wonach Du suchst, überwachen sie Dich. Dann zeigen sie Dir mehr und mehr, was sie wollen das Du siehst. [...] Das Internet ist nicht frei. Alles hat seinen Preis. Sie sammeln Deine Daten und machen viel Geld damit." Und wer nicht weiß, was los ist, solle sich schleunigst um mehr Sicherheit kümmern. Das dürfe man nicht einfach ignorieren. „Google ist nicht Dein Freund." Sie stehen nun zusammen vor einer rot angemalten Mauer und agieren direkt in die Kamera. Besprüht wurde die Mauer im Auftrag der Regisseurin von dem Graffiti Künstler Serigne Mansour Fall aka MadZoo, und der Schriftzug spielt mit dem Titel des Films: Algo-Rhythm versus Algorithm.

Es wird noch eine weitere Stimme eingeführt, die aus einer Art Zwischenwelt spricht – halb mystisch, halb prophetisch, halb digital, halb analog, halb real – eine Figur, die über den Dingen zu stehen scheint. Aus dem Off hält sie eine Ansprache, adressiert an die Jugend und die moderne Welt. Bis sichtbar wird wer spricht: eine Dame in einem weißen, ausladenden Korbsessel sitzend, wie auf einem Thron, unter einem Baobab, einem alten Baum mit weit verzweigter, kahler Krone, dem Wahrzeichen von Senegal, nicht zuletzt Namensgeber einer der legendären Bands aus Dakar aus den 1970ern und wieder entdeckt in den 2000er Jahren, Orchestra Baobab. Die Verästelung der Baumkrone löst sich als Metapher auf, wird zum Netz und zur Vernetzung. Griot Tassoukat wird die professionelle Rednerin, Geschichtenerzählerin Adja Fall im Vorspann genannt, die Bezeichnung der weiblichen Griots. Als Schauspielerin ist sie vor allem durch populäre Fernsehserien bekannt, in denen sie meist eben diese Rolle übernimmt. Hier im Film appelliert sie an die Kräfte des Widerstands und der Selbstbesinnung. Ruft dazu auf, unabhängig und autonom zu denken, sich nicht von anderen abhängig zu machen, der Gefallsucht zu widerstehen, selbstbestimmt ein Wagnis einzugehen. Diese Botschaft wird am eindringlichsten wiederholt: Seid wagemutig! Seid wagemutig! Seid wagemutig!

Der letzte Auftritt gehört einem Nachrichtensprecher von "Good News". Er sitzt in einem digital animierten Fernsehstudio und spricht aus der Zukunft. Die Wirtschaft boomt, der Meeresspiegel sei maßgeblich gesunken, es gebe mehr Freude im Leben und eine Menge Liebe wäre im Umlauf. Zum Schluss berichtet er noch von einem außergewöhnlichen archäologischen Fund, einer seltsamen Box, gefüllt, mit Zetteln; es würde sich dabei aller Wahrscheinlichkeit nach um eine alte Wahlurne handeln. „Man nannte das damals Wählen, glaube ich. Das kommt noch aus einer Zeit, als die Bürger auf die Barmherzigkeit skrupelloser Politiker angewiesen waren, lange vor der algorithmischen Regierungsform – unserer wirkmächtigsten Göttin, allwissend und großartig. Wir danken unserer A.I. Maschinenintelligenz. Wie haben wir je Entscheidungen ohne sie getroffen? Bis zum nächsten Mal, mit mehr guten Nachrichten(...). "

Würdigung und Kritik

Was wie ein Thesenfilm klingen mag muss man sich eher als eine Rap-Musical vorstellen. Die Stimme der Botschaft macht die Musik. Die Texte werden schnell gereimt gesprochen, so dass man beim ersten Mal kaum alles sofort erfasst. Wer nicht allzu gut Französisch oder Wolof versteht, muss Untertitel lesen und wird zugleich von den verdichtet verfremdeten Bildoberflächen abgelenkt. All unsere Antennen und Sinne werden gefordert, zu entschlüsseln, wo wir uns eigentlich befinden. Mit „Algo-Rhythm“ sucht die Regisseurin Manu Luksch und ihr Team nach einer Form und Ästhetik, die sichtbar macht was nur schwer vorstellbar ist und darstellt, wovon sie handelt: von der Rückseite der Benutzeroberfläche. Von algorithmischen Prozessen, die sich "hinter" dem Bildschirm abspielen, von Politik, die immer auch korrupte Medienpolitik ist, von Datenmissbrauch, Big Data, Maschinenintelligenz.

Der Titel des Films, „Algo-Rhythm“, spielt mit der Bedeutung eines Wortes, dessen Ursprung selbst eine Verfremdung oder Verfälschung ist, die wohl durch die Übersetzung vom Arabischen ins Lateinische entstand. Was sich für jede und jeden schnell rausfinden lässt, der/die nach dem Begriff sucht, der inzwischen den Großteil unseres Suchens selbst bestimmt und uns in all unseren Suchbewegungen registriert. Wer also Algorithmus googelt, kann lernen, dass dieser sich von dem Namen des Mathematikers Musa Al-Khwarizmi ableitet. Von Al-Khwarizmi heißt es, er habe im neunten Jahrhundert in Bagdad Algebra erfunden und mit der Übersetzung seines Buches über die indischen Ziffern im 12. Jahrhundert seien die Dezimalzahlen auch im Westen angekommen. Sein Name wurde dabei gleich mit übertragen und aus Al-Khwarizmi wurde Algorismi. Kombiniert mit dem griechischen Wort arithmos, was übersetzt Nummer bedeutet, entstand der Begriff des Algorithmus, was nichts weiter bedeutet, als einer Handlungsanweisung zu folgen, die zur Problemlösung führt. Was die Mathematik dabei so interessant und offen macht, ist ja, dass auf beiden Seiten einer Gleichung komplett unterschiedliche Formeln oder Rechenschritte stehen können, die aber beide zum selben Ergebnis führen. Dass also Berechenbarkeit nicht notwendigerweise bedeutet, etwas zu reduzieren, sondern im Gegenteil, Möglichkeiten zu potenzieren. Und die Variationen, die dazwischenliegen, gehen oft bis ins Unendliche, ins Aschgraue könnte man mit dem Zahlenteufel von Hans-Magnus Enzensberger sagen. Diese Abstufungen und Schattierungen der Graubereiche führen zurück zur Ästhetik des Films, zu den unzähligen Pixeln/Punkten, in die ein Bild zerfällt, zur Abstraktion, die in jedem Bild angelegt ist und die zu einem anderen Bild und einer anderen Wirklichkeit führen kann.

Folgen wir der Verschiebung, die der Filmtitel vornimmt, wird aus der kombinatorischen Handlungsanweisung, dem Bestreben nach Berechenbarkeit und in diesem Sinne Vorhersehbarkeit, so etwas wie ein anderer (algo) Beat (rhythm). Mit einem Begriff wie rhythm hätte man in Westafrika, oder im Senegal, nochmal einer ganz anderen polyphonen Komplexität überraschender Tonabfolgen folgen können. Der Beat, den der Film hier vorgibt, folgt jedoch einer anderen Idee von Störfaktoren. Mit Rapmusik bleibt der Rhythmus einerseits global wiedererkennbar und unterstreicht weniger das lokal Besondere, das heißt, was hier verhandelt wird, betrifft uns alle; andererseits verweisen alle SchauspielerInnen auf eine spezifische Musikszene, die dafür bekannt ist, die Rhythmen des gesellschaftlichen, also politischen Alltags in Dakar fundamental umzukrempeln.

„Algo-Rhythm“ versucht, ein kritisches Bewusstsein zu schaffen, aber nicht durch die Mittel einer Kritik, die sich außerhalb dessen stellt woran sie Kritik übt, sondern durch eine audio-visuelle Sprache, die mit Geschwindigkeit, popkulturellen Referenzen und futuristisch aussehenden, abstrakten Oberflächen spielt und sie zugleich verfremdet und konkret verankert. Die Technik und ihre Möglichkeiten bestimmen auch die Ästhetik des Films: etwa 3D Kinect Kameras und Drohnen, das Verfahren der Fotogrammetrie, einer Form von Bildmessung, die sämtliche Bilddaten von Objekten sammelt, um sie räumlich darzustellen; außerdem 3D Scans von Menschen, deren Abbilder dann aussehen als würden sie frei im Hintergrund schweben und mit nur einer Handbewegung aus- und wieder angestellt werden. Die Bild-Effekte einer Umkehrung von hell und dunkel, dessen was sichtbar und unsichtbar erscheint, erinnern teilweise an analoge Negativfilme. Auf diese Weise werden Strukturen und Konturen der Gegenstände im Bild betont, die Abstraktion, die Künstlichkeit und nicht etwa die Illusion einer möglichst wirklichkeitsgetreuen Abbildung, die vergessen macht, dass wir ein Bild betrachten. Der Film spielt mit diesen Effekten, als wäre jedes Korn von Glasfasern durchzogen. Korn, verstanden als Körnigkeit eines Bildes, aber auch metaphorisch, jedes Korn Wahrheit. Was zu einem Zweifel an jeder Form von Echtheit führt, der wiederum filigrane, Korallenriffartige Muster erzeugt.

Zerfällt das Bild in seine körnigen Bestandteile, in abstraktes, farbig schattiertes Rauschen, in Datenstaub, wechselt der Schauplatz übergangslos auf die virtuelle Seite der Wirklichkeit, die eben nicht von dieser abgekoppelt erscheint, nicht frei erfunden oder mit Hilfe einer Grafik Software quasi von Grund auf hergestellt wird. Die also nicht aussieht wie ein Videospiel, vielmehr überlagern sich diese „Online- und Offline- Welten“ als zwei Seiten derselben Wirklichkeit. Der Film öffnet sich hier in unterschiedliche Richtungen, auch an der Schnittstelle, was lokal spezifisch und global wiedererkennbar ist.

Der virtuelle Raum wird als Bereich der Macht und des privilegierten Zugangs gezeigt. Hier werden Komplotte geschmiedet, aber auch die Medienmacht, das „Good News Fernsehstudio” ist hier angesiedelt. Gerappt wird auf Französisch, also in der Sprache der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich, weiterhin die offizielle Landessprache. Auf der Straße hingegen, die mit einer dokumentarischen Kamera quasi als real gezeigt wird, rappt „das Volk" in Wolof, einer der meist gesprochenen Sprachen im Senegal. Die Wahl der Sprache ist immer auch ein Statement. So greift der Film auch eine alte, stets schwelende Debatte im Senegal auf. In welcher Sprache Literatur geschrieben, Filme oder eben Musik gemacht wird, impliziert auch, an wen sich die jeweilige Kunstform richtet.

Die MusikerInnen der senegalesischen Hip-Hop Szene haben sich über Jahrzehnte, seit Mitte der 1980er Jahre, einen Mix aus verschiedenen Sprach-Versatzstücken angeeignet, Englisch, Französisch, Wolof oder Pulaar, ähnlich wie die Verwendung und Verfremdung wieder erkennbarer Beats und anderer Klangelemente der globalen, amerikanischen und europäischen Popkultur.  Im Prozess der Aneignung manifestiert sich auch eine Selbstermächtigung, eine kulturelle Taktik, die addiert, absorbiert und verwandelt, die sich anreichert, ohne sich anzupassen oder eine traditionelle Linie zu verachten. Das Eigene, eine eigene Popkultur, ist immer auch ein weltgewandter, kenntnisreicher, künstlicher Hybrid.

Jene Ebene, die den Film spezifisch, lokal in Dakar verankert und eine Geschichte aufmacht, die in „Algo-Rhythm“ selbst nicht erzählt wird, die aber ein Publikum in Dakar sofort versteht und mitlesen kann, ist die der Crew der auftretenden SchauspielerInnen und RapperInnen. Ihre Namen stehen im Vorspann in wesentlich größerer Schrift über oder neben den Figuren, die sie im Film darstellen, aber da stehen nicht ihre „echten" Namen, sondern die, die sie als MusikerInnen verwenden. Sie werden zu doppeldeutigen „realen” Kunstfiguren. Jede und jeder von ihnen steht für eine eigene Geschichte innerhalb der Hip-Hop Szene Dakars. Was alle hier auftretenden KünstlerInnen verbindet und worüber Rhapsod gerade seine Doktorarbeit schreibt, ist: was es bedeutet, an den Schnittstellen von Kunst, Gesellschaft und Wissensvermittlung zu arbeiten, und zu fragen, welche Rolle Musik dabei spielt, Wissen in Umlauf zu bringen und politische Diskurse anzuzetteln. Algo-Rhythm arbeitet an derselben Schnittstelle. In diesem Sinne liegt die eigentliche Qualität des Films in seiner Machart, er handelt nicht von einem Thema oder spricht über etwas, sondern wird Teil von dem was er zeigt.

Die Regisseurin Manu Luksch

Manu Luksch setzt sich in ihren interdisziplinären Arbeiten und Filmen mit sozialpolitischen Fragen zur hyper-vernetzten Gesellschaft auseinander. Die Arbeiten und deren oft eigenwillige Entstehungsgeschichten provozieren unser Verständnis eines technologiezentrierten Fortschrittsglaubens. Wie beeinflussen „smarte“ Infrastrukturen Privatsphäre, öffentliche Domain, und unser Selbstverständnis?
Lukschs künstlerische Praxis umfasst neben ihrem konzeptuellen Fokus Genres von Intervention im öffentlichen Raum, Netzkunst, Fotografie Installation; viele ihrer Produktionen bedienen sich eines durch Netzkultur erweiterten Filmbegriffes - wie Echtzeitübertragung, Fiktion und partizipatorische Prozesse.
Ihre Arbeiten sind international auf Festivals, in Ausstellungen und bei Symposien als auch in Sammlungen (Collection Centre Pompidou, Paris; British National Film Archive; Core Collection u.a.) vertreten. 
Die in Österreich geborene Manu Luksch lebt und arbeitet in Wien und London.
(http://www.manuluksch.com/ siehe auch: Filmhinweise)

Hintergrundinformationen

Als „Manifest eines afrikanisch digitalen Geistes” beschrieb der kongolesische Regisseur Balufu Bakupa-Kanyinda bereits im Jahr 2002 die Ausrichtung seines Films Afro@digital, und nannte „Technologie eine Geisteshaltung”. Der vorherrschenden „digitalen Kluft” zwischen Nord und Süd setzte er eine Geschichte entgegen, die die Mathematik und Informatik auf dem afrikanischen Kontinent verankert und betonte zugleich eine fundamentale und pragmatische Veränderung, die der damals aufkommende Mobilfon-Markt mit sich brachte. In einem Artikel der UNESCO, die den Film finanzierte, wird er zitiert: „Als ich vor etwa sechs Jahren [1996] in ein afrikanisches Land reiste um einen Film zu drehen, war ich vom Rest der Welt komplett abgeschnitten und musste im vier Sterne Hotel absteigen um überhaupt Zugang zu einem Telefon zu haben. Manche mussten über zwanzig Jahre auf eine Telefonleitung warten. Dann, quasi über Nacht, hatten tausende von Afrikanern Zugang zu Mobiltelefonen und konnten überall hin kommunizieren. Für die Entwicklung des gesamten Kontinents ist das enorm wichtig.”

Gut fünfzehn Jahre später gehören Mobiltelefone und Internet zur Grundausstattung, quasi überall, und was wir heute mit dem eigentlich neutralen Begriff Algorithmus verbinden stellt sich vor allem als Schreckgespenst der Programmierung und Automatisierung hochkomplexer Vorgänge dar, als die Kehrseite einer außer Kontrolle geratenen, beziehungsweise durch und durch kontrollierten digitalen Welt. Das Monster sitzt jedoch im System, nicht außerhalb. Wer mit welchem Interesse diese Programmierung finanziert, wer ihre Ergebnisse besitzt, und wer was damit macht, sind nur wenige von vielen politischen Fragen, die damit einhergehen. Wie es gelingen konnte, dass „googeln” zum Synonym von „suchen" wurde. Diese abstrakten, wenn überhaupt nur indirekt sichtbaren Abläufe, haben über die letzten zwanzig, dreißig Jahre eine Realität hergestellt, die wir nicht notwendigerweise als solche wahrnehmen und erkennen. Wir sehen allein die Benutzeroberfläche, das Interface, aber nicht die digitalen Spuren, die wir hinterlassen, und deren Größenordnung. Zugleich sind, was wir Daten nennen, auch nur phantastische Gebilde, die allerdings hoch im Kurs stehen, je mehr Daten desto besser. Doch wer täuscht wen und lässt sich täuschen? Wir reden von Gespenstern und leeren Hüllen. Sind sie Teil unserer Realität, während die Wirklichkeit schon wieder eine andere ist? Die Protokolle von Suchmaschinen, sozialen Medien, Mobiltelefonen, Internet, von google und facebook werden zur potentiellen Überwachung. Als NutzerInnen sind wir notwendigerweise Teil davon, was aber auch bedeutet, wir können die Medienrealität bestimmen wie sie uns bestimmt, zumindest teilweise, sobald wir ein Bewusstsein davon haben, was wir tun und was mit uns passiert.

Für die Regisseurin Manu Luksch sind die Fragen alle nicht neu. Sie kennt die Euphorie der entstehenden Internet-Kultur der späten 1990er Jahre genau so gut wie die Kehrseite und diese profunde Insider-Kenntnis prägt auch die Haltung des Films, der eben nicht moralische, sondern ethische Fragen aufwirft. Im Rahmen ihres Stipendiums des Human Rights Programm der Open Society Foundation recherchierte Manu Luksch gesellschaftliche Auswirkungen automatischer Entscheidungsfindung. Für einen vier tägigen Workshop kam die Regisseurin dafür nach Dakar und wusste, das kann nur der Anfang sein. Sie nahm die Gelegenheit zum Anlass, einen Film in Zusammenarbeit mit der legendären senegalesischen Hip Hop Szene vorzubereiten, und verlängerte ihren Aufenthalt. Vorab hatte sie von London aus, eingefädelt über einen senegalesischen Filmemacher, Gunman Xuman per Email kontaktiert, eine der wichtigsten und langjährigsten Stimmen der sozialpolitisch engagierten Hip-Hop Szene.

So entstand ein Projekt auf Augenhöhe und eben kein Film über die Protagonisten der Szene, sondern mit ihnen: Für „Algo-Rhythm“ war eine datengenerierte Nachrichtensendung geplant – und Xuman und sein Kollege Keyti sind unter anderem als Gründer und "News Rapper” des Youtube Nachrichtenkanals Journal Rappé bekannt. Xuman vermittelte außerdem Kontakte für das Casting der weiteren Rollen, und für Workshops mit Nachwuchstalenten, die integraler Bestandteil des Films sein sollten. Keyti willigte ein, die Wolof-sprachigen Lyrik-Workshops zu leiten. Des Weiteren kam logistische Unterstützung seitens des gut vernetzten, brillanten Kulturmanagers Amadou Fall Bâ, Direktor der Association Africulturban und des 2018 eröffneten Maison de la Culture Dakar. Bâ organisierte das Aufnahmestudio und die Mauer für das Graffiti.

Auszusprechen, was sich in der eher konservativen Gesellschaft viele nicht trauen überhaupt zu denken, die Dinge beim Namen zu nennen, war von Anfang an die Rolle von Hip-Hop in Dakar. Entstanden ist er in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre, indirekt auch als Antwort auf eine Reihe von Strukturanpassungsprogrammen. In einem Moment der Krise, die dazu führte, dass für ein ganzes Jahr, 1988, das Schul- und Universitätssystem komplett zusammenbrach, LehrerInnen nicht bezahlt wurden und streikten, begannen Schüler und Studenten zu imitieren und zu transformieren, was sie im Radio hörten, verbrachten ihre Zeit damit, Lyrics zu schreiben, organisierten Open Mics, und so ersetzten die aufklärerischen Texte der Rap-Musiker sozusagen den Politik-, Sozialkunde- oder Geschichtsunterricht. Die international bekannteste Band dieser Zeit, die es noch immer gibt, waren und sind Positive Black Soul (PBS), mit Didier Awadi als Gründungsmitglied. PBS verstanden sich auch als neue Partei – PBS statt PDS, was für die demokratische Partei Senegals stand. 

Es dauerte an die zehn Jahre bis sich dann Ende der 1990er die erste Mädchen/Frauen Combo gründete, ALIF (Attaque libératoire de l'infanterie féministe), was übersetzt so viel heißt wie: Befreiungsangriff der feministischen Infanterie, die vor allem junge Frauen dazu ermutigte, ihren Platz in den politischen Bewegungen und auf der Bühne zu reklamieren. Algo-Rhythm featured mit den beiden Präsidentschaftskandidatinnen und den dahinterstehenden Rapperinnen Lady Zee und OMG dann schon die übernächste Generation. Während OMG auch mal die romantische Seite der Geschlechterverhältnisse besingt, sind es vor allem Lady Zee mit ihrer Band Gotal, die mit viel Verve, Humor und fordernden Beats einen selbstbewussten, eigenen, feministischen Diskurs reklamieren.

Der Moment, in dem die Hip-Hop Bewegung allerdings zur entscheidenden Antriebskraft der senegalesischen Gesellschaft wurde, war im Jahr 2012, als der damals amtierende Präsident Abdoulaye Wade, bereits über 80 Jahre alt, mit einer entsprechenden Gesetzesänderung die Bedingung schaffen wollte, ein drittes Mal zu kandidieren. Als Ausdruck ihres Unmuts nannte sich die entstehende Protestbewegung schlicht und ergreifend: Y’en a marre ! Was so viel bedeutet wie: Uns reichts! Wir haben genug! Wir sind es leid! Ein so allgemeiner wie inklusiver Ausdruck von Verdruss, womit sie einem Großteil der senegalesischen BürgerInnen aus der Seele sprachen. Initiatoren und Anführer der Bewegung waren der Journalist und Politikwissenschaftler Fadel Barro und die Rapper der Gruppe Keur Gui. Als das erste Ziel, eine weitere Amtszeit Wade’s zu verhindern, erreicht worden war, formulierte die Bewegung auch ihre Protesthaltung neu und überführte sie in einen konstruktiven, neuen Slogan: aus Y’en a marre ! wurde Dox Ak Sa Gox, ein Ausdruck, der an die Herausforderung appelliert, als und in Gemeinschaft zu handeln, voranzukommen. Um als eine aufgeklärte, kritische Menge von BürgerInnen sozusagen eine machtvolle Kontrollinstanz gegenüber der Regierung bilden zu können.

Didaktische Überlegungen

Je nachdem, ob man sich den Film im Mathematik-, Politik-, Sozialkunde-, Musik-, Geographie- oder im Französisch-Unterricht ansieht, könnten die SchülerInnen zu unterschiedlichen Assoziationen und Arbeiten angeregt werden. Der Film würde sich anbieten, Fächer übergreifende Gruppenarbeiten zu initiieren.

SchülerInnen werden den Film vermutlich ansprechend finden, allein schon wegen seiner Machart und der Musik. Zugleich sind sie vermutlich irritiert, weil sie von Rap-Musik aus dem Senegal nicht viel wissen, weil es sich eben doch anders anhört. Aber wie? Entlang der KünstlerInnen, die im Film auftauchen, könnten sie selbstständig (in kleineren Gruppen) nach deren Musik recherchieren und dann jeweils den Clip oder jenes Stück vorstellen, das ihnen am besten gefallen hat. Anreiz kann auch sein, zu versuchen zu verstehen, wovon die Stücke jeweils handeln. Womöglich im Vergleich zu einem Stück einer ihrer Lieblingsbands. Verbunden mit der Frage, ob ihnen deutschsprachige, politische Rap-MusikerInnen bekannt sind. Was ihnen daran gefällt oder eben nicht, was ihre Botschaften vermitteln und wie sie das finden.

  • Welche Bilder haben Schüler und Schülerinnen im Kopf, wenn von Afrika die Rede ist? Wo kommen diese Bilder her und inwieweit ändert Algo-Rhythm diese Vorstellung? Was ist hier anders?
  • Recherche Aufgabe: Welche Funktion haben Griots im Senegal? Was bedeutet das Wort?
  • Die Form des “Rap-Journals” aufgreifen, wie es im Film durch den “Good-News” Fernsehsender gezeigt wird, aber auch von zwei der beteiligten Rapper, Keyti und Xuman, mit großem Erfolg regelmäßig produziert und über YouTube vertrieben wird. Die SchülerInnen können hier in Gruppen zusammen arbeiten und im Zeitraum von etwa einer Woche Nachrichten sammeln, die sie interessant finden. Sie können/sollen diese in einer Sprache vortragen, die ihnen angemessen erscheint. Sie können, müssen aber nicht versuchen, daraus Reime zu machen. Das Klassenzimmer könnte sich über einen gewissen Zeitraum in ein Fernsehstudio verwandeln.
  • Das Thema soziale Medien aufgreifen. Was benutzen die SchülerInnen und wie? Wieviel Zeit verbringen sie damit, was bedeutet es ihnen? Wem gehören die Bilder, die sie hochladen? Welche alternativen Plattformen gibt es?
  • Recherche Aufgabe: Was ist ein Algorithmus? Und wer oder was ist Cambridge Analytica?
    Welche Manipulationsvorwürfe werden in diesem Kontext von wem erhoben?
  • Diskussion: Wie verändert sich unser Verständnis von Demokratie und demokratischer Prozesse, wenn Entscheidungsfindungen automatisiert werden?
  • Diskussion: Was sagen Daten eigentlich über uns aus? Wie wird ein Psychogramm anhand von Daten erstellt? Lassen wir uns manipulieren und wenn ja, wie könnte das funktionieren? Wie reagieren wir auf Meldungen, Werbung, Schlagzeilen? Wie können wir lernen, etwas kritisch zu hinterfragen?

Links, Literatur- und Medienhinweise

Zur Hip-Hop Kultur im Senegal / als globales Phänomen

  • Sujatha Fernandes; Close to the Edge: In Search of the Global Hip Hop Generation
    https://socialtextjournal.org/periscope_topic/close_to_the_edge/
  • Ali Colleen Neff; In One, All: Senegalese Women Freestyle Artists Unify the Global Ghetto
    https://socialtextjournal.org/periscope_article/in_one_all_senegalese_women_freestyle_artists_unify_the_global_ghetto/
  • Dulcie Abrahams Altass, The Hip Hop Turn, 2018
    Contemporary Art’s Love Affair with Hip Hop Culture from Manhattan to Dakar
    https://makingandbreaking.org/article/the-hip-hop-turn/
  • RAW Academy, Five Elements, Hip-Hop, aesthetics and politics
    www.rawmaterialcompany.org/dyn_img/cms/dafc20763a8ea8c8f2bfb00145db46bc.pdf

Zur Manipulation von Wahlen  / Skandal um Cambridge Analytica

  • www.channel4.com/news/exposed-undercover-secrets-of-donald-trump-data-firm-cambridge-analytica
  • www.theguardian.com/uk-news/2019/mar/17/cambridge-analytica-year-on-lesson-in-institutional-failure-christopher-wylie
  • www.spectator.co.uk/2019/05/meet-the-real-alexander-nix-an-interview-with-the-notorious-former-head-of-cambridge-analytica/
  • www.theguardian.com/film/2019/jul/23/the-great-hack-review-cambridge-analytica-facebook-carole-cadwalladr-arron-banks
  • www.tacticaltech.org/#/news/voters-guide 

Zum Hintergrund der Y’en a marre Protestbewegung

  • Interview mit der Regisseurin des Dokumentarfilms „The Revolution Won't Be Televised“ (Senegal 2016), Rama Thiaw:
    https://www.berlinartlink.com/2016/03/11/home-the-revolution-wont-be-televised-an-interview-with-rama-thiaw/
  • Louisa Prause; Y’en a marre: Wer sind sie, wie mobilisieren sie und was fordern sie?
  • Zu den Wahlen in Senegal 2012. Standpunkte international 2/2012
    www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Standpunkte/Standpunkte_international/Standpunkte_int_02-2012.pdf

Zur Schnittstelle Wissenschaft / Mediengeschichte

  • Website der Regisseurin Manu Luksch
    www.manuluksch.com/studio/
  • Learning Science — The fun and creative way
    https://comnplayscience.eu
  • https://de.wikipedia.org/wiki/Algorithmus

Film- und Medienhinweise

Dreams Rewired - Mobilisierung der Träume
Regie: Manu Luksch, Thomas Tode, Martin Reinhart
Österreich, Deutschland, UK 2015, 98 Min.
Bezug DVD: https://absolutmedien.de
www.dreamsrewired.com/synopsis

Der Film ist Teil der Themen-DVD: AFRIKA_DIGITAL.2 mit folgenden Filmen:
Digital Afrika - Ein Kontinent erfindet sich neu
Zombies
Algo-Rhythm
Chinafrika.mobile - Mobiltelefon auf dem Weg durch drei Kontinente

Autorin: Annett Busch
Redaktion: Bernd Wolpert
03/2020