Arbeitshilfe

Frag nicht warum

Don't ask why
Dokumentarfilm von Sabiha Sumar
Deutschland, Pakistan 1999, 30 Min.

Inhalt

Die 17-jährige Anousheh wächst in einer wohlhabenden Familie in Karachi auf, der größten Industriestadt Pakistans. Die Regisseurin begleitet ihren Alltag, stellt Fragen nach ihren Wünschen und Träumen.

Die Eltern sind fromme Muslime und der Alltag wird bestimmt von Gebetszeiten und den strengen Regeln der pakistanischen Gesellschaft. Anousheh führt oft Dialoge mit ihrem Tagebuch. Ihm vertraut sie ihre Fragen, Zweifel und Träume an, die sie sonst mit niemandem besprechen kann: Warum dürfen die Brüder so vieles tun, was ihr nicht erlaubt ist? Warum ist dem Vater die Meinung der Leute so wichtig? "Pakistan ist eine chauvinistische Männergesellschaft" sagt sie und stellt fest, dass sie ihr Land nicht lieben kann, weil es ihr als Frau nicht die Freiheiten zugesteht, die sie möchte. Ihre Mutter unterstützt sie so weit sie kann, aber der Vater ist sehr streng. Immer wenn sie nach Erklärungen für Regeln und Verbote fragt, regt er sich auf.

Anousheh möchte wissen, wie sie ein gutes Leben führen kann, wie sie vor Gott gut sein kann. Aber viele Gebote und Verbote sind ihr nicht einsichtig. Wie kann sie wissen, was Gott wirklich von ihr will? Sie sucht die Antworten im Gespräch mit dem Vater und im Koran. Deshalb besucht sie regelmäßig eine Koranschule für Mädchen und setzt sich mit den Frauen vom Islamischen Frauenbund auseinander. Sie sucht einen Weg im Einklang mit ihrem Glauben. Aber auch dort geht für sie das Fragen weiter. Ist es wirklich der Wille Gottes, sich von Kopf bis Fuß zu bedecken? Warum ist es Männern erlaubt, vier Frauen zu heiraten? Anousheh findet das ungerecht und meint, das liege nur daran, dass alles von Männern interpretiert würde, die Gesetze wie der Koran. Sie kann sich nicht vorstellen, dass Gott ungerecht sei. Wenn Frauen die Möglichkeit hätten, den Koran zu deuten, würden sie darin sicherlich anderes finden. "Aber", so sagt sie, "niemand darf die Religion oder Gott in Frage stellen. Und hier sind die Männer wie Gott. Wenn du die Männer in Frage stellst, dann stellst du Gott in Frage. Männer in Frage zu stellen, kann tödlich sein."

Anousheh möchte, dass ihre Familie stolz auf sie ist. Am liebsten möchte sie zum Studium nach Kanada gehen und irgendwann einen wunderbaren Mann heiraten. Ob es ihr gelingen wird, den Vater zu überzeugen, scheint aber keinesfalls sicher. Der Vater ist nämlich der Meinung, dass Männer und Frauen ihren jeweils eigenen Raum in der Gesellschaft haben, in dem sie frei sind - und der Platz der Frau sei eben zu Hause. Er ist nicht bereit, überhaupt über ihren Studienwunsch zu diskutieren, solange sie die Schule nicht mit einem guten Examen abgeschlossen hat.

Das junge Mädchen hat den Eindruck, dass sie letztlich kaum eine Möglichkeit hat, etwas zu verändern oder irgendwo hin zu gehen. Sie hat Angst "vor Männern, vor Gott, vor dem Vater, vor den Leuten, vor Vergewaltigung, vor dem Jüngsten Gericht und vor mir selbst, davor, was ich noch tun könnte". Ihrem Tagebuch vertraut sie einen Traum an, der sie gequält hat, und ihre Fragen: "Was denkt die Mücke, wenn sie Gift einatmet? Was denkt der Fisch, wenn er auf den Köder beißt? Und warum umkreist die Motte das Licht, wenn sie doch weiss, dass sie sich verbrennen kann?" Sie hat nicht viel Hoffnung, dass sie ihre Wünsche durchsetzen kann und gibt dennoch nicht auf. Sie vertraut darauf, dass das Gespräch mit Gott ihr helfen wird, die richtigen Antworten und den richtigen Weg zu finden.

Zum Film

Sabiha Sumar ist die einzige unabhängige Filmemacherin in Pakistan. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf sozialen, politischen und frauenspezifischen Themen in Ostasien. Sie zeichnet dieses Porträt einer jungen Pakistanerin mit großer Sympathie, aber auch mit kritischer Distanz. So stellt sie Anousheh auch sehr provokative Fragen und gibt sich nicht damit zufrieden, wenn diese ihr ausweichend antwortet. Es entsteht dadurch ein vielschichtiges Bild einer jungen Frau auf der Suche nach der Verwirklichung ihrer persönlichen Träume und Freiheit. Gleichzeitig vermittelt der Film ein durchaus differenziertes Bild der Situation von Frauen in Pakistan. Die Offenheit, mit der sich alle Familienmitglieder auf den Film eingelassen haben, gibt einen Einblick in das Familienleben und dessen typische Auseinandersetzungen, wie sie sowohl Jugendlichen wie auch Erwachsenen auch bei uns durchaus vertraut sind.

Hintergründe

Die Islamische Republik Pakistan ist etwa viermal so groß wie Großbritannien. Die heutige Staatsform ist nicht zu verstehen ohne Rückblick auf die britische Kolonialgeschichte: "Ursprünglich war das heutige Pakistan nur aus strategischen Gründen zur Sicherung der Nordwestgrenze Britisch-Indiens in der Mitte des 19 Jahrhunderts erobert worden. Schon bald aber wurde das große landwirtschaftliche Potential erkannt und genutzt."  Mit der Unabhängigkeit Pakistans entstand 1947 ein heterogenes Staatengebilde, bestehend aus Ost- und Westpakistan. Die Zugehörigkeit zu diesem neuen Staat wurde vor allem durch die Zugehörigkeit zum Islam definiert, im Gegensatz zum hinduistisch geprägten Indien, auf das sich die britische Kolonialverwaltung vor allem gestützt hatte. Die Folge der Staatengründung waren u.a. massive Flüchtlingsbewegungen in beide Richtungen. 1971 kam es zur Konfrontation zwischen beiden Landesteilen Pakistans, die mit Eingreifen indischer Truppen zu einer Kapitulation der pakistanischen Truppen in Ostpakistan und dem Verlust dieses Landesteils, des heutigen Bangladesch, führten. Eine Reihe von Grenzfragen mit Indien sind nach wie vor ungeklärt, wie z.B. im Kaschmir, in dem sich seither Indien und Pakistan bekriegen.
Pakistan gehört zu den ärmsten Ländern, gemessen am Pro-Kopf-Einkommen, hat eine Geburtenrate von etwa 5,2% und eine durchschnittliche Lebenserwartung von 60 Jahren. Nach offiziellen Angaben sind lediglich 24% der erwachsenen Frauen und 50% der erwachsenen Männer des Lesens und Schreibens kundig.

Von den etwas mehr als 135 Millionen Einwohnern Pakistans sind heute 95% Muslime. In Europa und in den USA wird die Frage der "Islamisierung" sehr kritisiert, aber es wird dabei leicht übersehen, dass die Mehrheit der Pakistani gläubige - nicht unbedingt orthodoxe - Muslime sind, die die Einführung von zakat und ushr (islamische Steuern auf das Vermögen und die landwirtschaftliche Produktion), die Abschaffung des Zinses (riba) und die Einführung des islamischen Rechts (sharia) durchaus befürworteten. Allerdings gibt es in Pakistan und unter Pakistanis im Ausland durchaus eine Kontroverse über die reale Ausprägung von Rechten im Lande. Die Gefahr besteht, dass vorschnell Feindbilder aufgebaut und nicht mehr differenziert wird zwischen Erscheinungen in der pakistanischen Gesellschaft und dem Islam als solchem, über den oft wenig Kenntnisse bestehen.

Das Thema des Films, die Sinnsuche einer jungen muslimischen Frau und ihre Auseinandersetzung mit der Rolle der Frau in der Gesellschaft, ist sehr komplex:

- Grundsätzlich geht der Islam von einer Gleichheit von Frauen und Männern aus. Allerdings ist das vorherrschende Verständnis in der pakistanischen Gesellschaft das von getrennten gesellschaftlichen Räumen, in denen sich beide Geschlechter bewegen, und innerhalb derer sie sich frei bewegen können. Dabei wird der Frauenraum stark auf das Haus beschränkt.

- Grundsätzlich bestimmt der Islam, dass die Unterdrückung von Frauen verboten ist. Allerdings stellen Menschenrechtsberichte fest, dass Frauen weniger Zugang zu Bildung, Nahrung und Gesundheitsfürsorge haben als Männer und Frauen am politischen Leben weniger teilhaben können. Zwar sind unter der Regierung der Premierministerin Benazir Bhutto Schritte zur Verbesserung der Situation der Frauen unternommen worden: Einige ausschließlich mit Frauen besetzte Polizeistationen wurden geschaffen, Frauen in hohe Richterämter berufen und zahlreiche Kommissionen eingerichtet, die frauendiskriminierende Gesetze feststellen sollen. Vor der Wahl von 1993 wurde außerdem zugesagt, das UN-Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierungen der Frau zu unterzeichnen. Allerdings ist bisher wenig getan worden, um die Empfehlungen umzusetzen.

- Grundsätzlich gesteht der Islam Frauen das Recht zu erben und auf individuellen Besitz zu. Aber wenn Ehemänner oder andere Familienangehörige, die es auf die Mitgift der Frau abgesehen haben, Frauen misshandeln, verbrennen oder gar töten, werden sie kaum jemals gerichtlich verfolgt.

- Der Islam gibt Frauen grundsätzlich das Recht, ein Heiratsangebot anzunehmen oder abzulehnen. In der Praxis besteht allerdings ein starker Druck durch die Familie, die von den Familien arrangierten Heiraten zu akzeptieren.

Eine der schwerwiegendsten rechtlichen Diskriminierungen von Frauen sind in den sog. Hudood-Gesetzen enthalten, die 1980 unter Kriegsrecht als Teil eines "Islamisierungsprozesses" verabschiedet wurden. Diese Gesetze setzen sich über alle anderen Gesetze hinweg. Sie befassen sich u.a. mit außerehelichem Geschlechtsverkehr, worunter auch Vergewaltigungen fallen. Bei einer Vergewaltigung liegt die Beweislast beim Opfer. Das bedeutet in der Praxis, dass eine Frau, die nicht beweisen kann, dass sie keine Zustimmung zum Geschlechtsverkehr gegeben hat, zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt werden kann. Inhaftierungen nach diesem Gesetz können ohne vorherige Untersuchung durch einen Richter vorgenommen werden.

Frauenrechte sind Menschenrechte

Spätestens seit der UN-Frauenkonferenz in Beijing steht das Thema Frauenrechte auf der internationalen Agenda. Die vielen Berichte aus aller Welt machten deutlich, dass in fast allen Teilen der Welt Frauen benachteiligt werden. Gewalt gegen Frauen ist ein weltweites Phänomen, und nicht beschränkt auf einzelne Länder. Die Gesetzgebungen sind in vielen Ländern mittlerweile auf diskriminierende Maßnahmen gegen Frauen überprüft worden und Frauengruppen konzentrieren sich zunehmend auf Rechtsberatung und Bildungsprogramme, um solche Missstände abzuschaffen. Auch in Pakistan gibt es solche Frauengruppen.

Grundsätzlich verstanden werden unter Frauenmenschenrechten die folgenden drei:

1. Das Recht auf Nicht-Diskriminierung, sowohl im wirtschaftlichen als auch im sozialen und politischen Bereich, wobei besonders das Arbeitsrecht zu erwähnen ist

2. Die reproduktiven Rechte der Frauen; Schwangerschaftsschutz als auch vor- und Nachsorge, freier Zugang zur Empfängnisverhütung, freie Entscheidung über Mutterschaft und Selbstbestimmung von Frauen über ihren Körper

3. Das Recht der Frauen auf ein Leben ohne Gewalt in jeder Form, sprich der Schutz gegen sexuelle Gewalt, Zwangsprostitution und Misshandlung im öffentlichen und privaten Rahmen

Zum Einsatz des Films:

Dieser Film einer pakistanischen Regisseurin gibt keine einfachen Antworten, sondern stellt viele Fragen, die zum Nachdenken anregen und eigene Antworten herausfordern.

Der Film bietet eigentlich drei Ansatzpunkte, die weiter bearbeitet werden könnten:

  1. Entwicklungsmöglichkeiten und -wünsche von Jugendlichen:
    Wie stellen sich Jugendliche, insbesondere junge Frauen, ihre Zukunft vor?
    Wie möchten sie ihr Leben gestalten? Was sind ihre Ängste, Träume und Visionen?
    Welche Werte sind ihnen wichtig?
  2. Rechte der Frauen als Menschenrechte:
    Was bedeuten Frauenrechte als Menschenrechte?
    Warum verändert sich der Blick auf Menschenrechte, wenn wir sie geschlechtsspezifisch betrachten?
    Was wissen wir über die Wirklichkeit von Frauenrechten bei uns und anderswo?
  3. Beschäftigung mit dem Islam:
    Was wissen wir eigentlich über den Islam? Was sind seine Grundlagen?
    Welche Entwicklungen und Diskussionen gibt es im Islam?

Es gibt viele Mitbürgerinnen und Mitbürger muslimischen Glaubens in unseren mehrheitlich christlich geprägten westeuropäischen Ländern, auf die oft großer Anpassungsdruck ausgeübt wird. Dieser Druck entsteht, weil es viel Unkenntnis gibt über den Islam und damit verbunden viele Vorurteile. Und der Druck führt häufig bei den Betroffenen, insbesondere Kindern und Jugendlichen, zu großen inneren Konflikten, weil sie sich orientieren müssen zwischen den Anforderungen der Schule und der christlichen Mehrheitsgesellschaft auf der einen, und den Erwartungen und Regeln der Familie und der islamischen Gemeinschaft auf der anderen Seite. Der Druck kann auch zu einem Rückzug und einer totalen Abgrenzung voneinander führen.

Die Moral des Islam ist grundsätzlich eine Gruppenmoral, Familien- und Gemeinschaftssinn sind im Islam wichtige Werte. Nicht die Selbstverwirklichung, die individuelle Entfaltung der Persönlichkeit stehen im Mittelpunkt, sondern das Selbstsein als integraler Teil der Gemeinschaft. Eine wichtige Tugend ist die Solidarität, die selbstverständliche Hilfe für die/den Anderen. Die Einhaltung von Regeln und Geboten im Alltag ist wichtig; dazu gehören u.a. auch der Respekt für und der Gehorsam gegenüber der Familie. Die Gebote des Islam regeln alle Bereiche des täglichen Lebens.

Der Film bietet eine gute Möglichkeit, einmal aus der Sicht der Muslime anzuschauen, welche Konflikte sich ergeben aus den Anforderungen des Glaubens, der Sinnsuche, und den persönlichen Träumen und Wünschen.

Literaturhinweise

  • Nohlen/Nuscheler (Hrsg.), Handbuch der Dritten Welt, Bd. 7, Hoffmann u. Campe Verlag 1983; Länderartikel zu Pakistan
  • Hunke, Sigrid, Allah ist ganz anders. Enthüllung von 1001 Vorurteilen über die Araber, Horizonte Verlag, Rosenheim 1990
  • Delcambre, Anne-Marie, Stichwort: Islam, Horlemann Verlag, Bad Honnef 1991
  • Khoury, Adel T., Der Koran, Übersetzung in Zusammenwirkung mit Muhammad Salim Abdullah, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 1989
  • Khoury, Adel T., So sprach der Prophet, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 1988
  • Micksch, Jürgen u. Mildenberger, Michael (Hrsg.), Christen und Muslime im Gespräch, Otto Lembeck-Verlag, Frankfurt 1982
  • M.S. Abdullah, Islam - für das Gespräch mit Christen, Verlag für christlich-islamisches Schrifttum, Altenberge 1984

Medienhinweise

  • MOSSANE
    Safi Faye, Senegal, Frankreich, Deutschland 1996, 105 Min., f., Spielfilm
    Archiv EZEF
  • JULIANA
    Grupo Chaski, Peru 1988, 90 Min., Spielfilm, dt. Fassung
    Archiv EZEF
  • DIE KLEINE VERKÄUFERIN DER SONNE (La petite vendeuse de soleil)
    Djibril Diop Mambéty, Senegal, Schweiz, Frankreich 1999, 45 Min., Spielfilm
    EZEF
  • WIE EIN KRIEG (Something like a war)
    Deepa Dhanraj, Indien/Großbritanien 1991, 52 Min., Dokumentarfilm
    Archiv EZEF

Autorin: Inge Remmert-Fontes
Juli 2000