Arbeitshilfe

Kairo 678

Film: 

Spielfilm von Mohamed Diab
Ägypten 2010, 100 Minuten, OmU

In der arabischen Welt geben nach wie vor die Männer den Ton an. Unter der patriarchalen Gewalt leiden vor allem die Frauen. Auch in Ägypten, obwohl dort die Anfänge der Frauenbewegung bis ins 19. Jahrhundert zurückgehen und es viele Organisationen gibt, die sich für die Rechte der Frauen einsetzen. Sexuelle Belästigung indessen wird toleriert und gilt als Tabu. Laut dem „Ägyptischen Zentrum für Frauenrechte“ werden vier Fünftel aller Frauen regelmäßig sexuell belästigt, verbal oder tätlich angegriffen, ob sie ein Kopftuch tragen oder nicht. Erzkonservative Kreise geben sogar den Frauen die Schuld, sie würden die Männer durch Kleidung und Auftreten reizen. Für die seelischen Nöte der Frauen haben auch aufgeklärte Männer oft wenig Verständnis oder fühlen sich gar selbst als Opfer.
Drei Frauen nehmen im Film von Mohamed Diab gegen diesen Missstand den Kampf auf. Sie stammen aus verschiedenen gesellschaftlichen Schichten. Fayza, Ehefrau eines Polizisten und Mutter von zwei kleinen Kindern, hat Mühe, mit dem Geld, das sie beide verdienen, über die Runden zu kommen. Um zu sparen, fährt sie mit dem Bus, dem Bus mit der Nummer 678,  und wird in den total überfüllten Vehikeln täglich befingert und betatscht. Nelly, die als Telefonistin arbeitet und mit ihrem Verlobten in einer Comedy-Show auftritt, wird deswegen bei der Arbeit von Kunden angemacht, später auf offener Straße von einem Autofahrer begrapscht und  mitgeschleift. Die mit einem Arzt verheiratete Seba, die einen westlichen Lebensstil pflegt, gerät nach einem Fußballspiel in eine Massenvergewaltigung. Die drei Frauen finden im Lauf des Films zusammen,  doch jede geht im Kampf gegen sexuelle Gewalt ihren eigenen Weg.

Inhalt
Im Vorspann flinke Hände, die aus Draht kleine Püppchen formen, die Hände Sebas. Sie werden später im Film eine Rolle spielen.
Eine Straßenszene in Kairo, Autos, Busse. Fayza mit Kopftuch im Taxi.  Der Taxifahrer richtet seinen Rückspiegel, so dass er Fayza beobachten kann und linst während der Fahrt  immer wieder nach hinten. Fayza steigt aus, man sieht sie bei ihrer Arbeit im Grundbuchamt. Auf dem Heimweg versucht sie ein Taxi zu stoppen, doch keiner nimmt sie für 10 Pfund mit. Fayza im Bus, ein Mann schiebt seine Hand an ihren Körper. Fayza daheim mit ihren Kindern. Im Fernsehen läuft Sebas Kurs über Selbstverteidigung, Fayza notiert hastig Ort und Zeit. Fayzas Mann Adel, ein Polizist, kommt heim, Fayza isst in der Küche eine rohe Zwiebel. Im Bett weist sie ihn ab, ihr Mann wird zornig.
Die nächste Szene zeigt Fayza im Kurs von Seba. Diese, mit offenem lockigen Haar, will von den anwesenden Frauen drei Fragen beantwortet haben: 1. Seid Ihr je sexuell belästigt worden?  2. Wie häufig? 3. Wie habt Ihr reagiert? Am Ende hält Seba Fayza zurück und fragt, weshalb sie seit fünf Wochen in diesen eintägigen Kurs komme und die Fragen stets mit nein beantworte. Fayza will nur wissen, wie man sich verteidigt, gibt nicht zu, dass sie ständig belästigt wird. Seba wird wütend, zieht Fayza eine Haarnadel vom Kopf und sagt, es gehe auch so. Sie schickt Fayza weg, sie könne ihr nichts beibringen.
Zu Hause legt Adel Fayza Geld für den Haushalt hin, doch für das Schulgeld reicht es nicht. Fayza zieht sich sorgfältig an, lässt einen überfüllten Bus ohne sie abfahren, holt ihren Lohn ab. Er wurde gekürzt, weil sie immer zu spät komme. Umsonst wird sie von ihrer Arbeitskollegin unterstützt. Sie nimmt den Bus, wird wieder befingert und nun sticht sie mit der Haarnadel in die Hand ihres Peinigers. Großes Geschrei, der Mann tut unschuldig, Fayza gibt wütend zurück, dass sie ihm das nächste Mal die Augen aussteche, die Männer beschimpfen sie, die Frauen schweigen. Fayza steigt aus, alle sehen ihr nach.

Ein Jahr zuvor
Seba joggt im roten Trainingsanzug.  Zu Hause macht sie einen Schwangerschaftstest. Sie fährt mit ihrem Mann Sheriff, einem Fußball verrückten Kinderarzt,  zu einem Fußballspiel. Zwischen dem Anfeuern der ägyptischen Mannschaft sagt sie zu Sheriff: „Ich habe eine Nachricht für Dich.“ Nach Ende des Spiels wird Seba von Männern eingekreist, es entsteht ein wildes Getümmel um sie. Vergebens ruft Seba nach ihrem Mann um Hilfe. Zu Hause liegt sie auf dem Bett und streicht sich die Farben Ägyptens aus dem Gesicht. Sheriff steht auf, geht weg.
Die nächste Szene zeigt Seba im Kinderspital, wo ihr Mann übernachtet hat. Sie bittet ihn, nach Hause zu kommen. „Ich brauche Dich.“ Doch er meint, er könne nicht, er müsse immer daran denken, was mit ihr geschehen sei. Seba wird wütend, fordert ihn auf, einmal daran zu denken, was ihr geschehen sei. Ihr Mann weist sie ab, schickt sie nach Hause.
Seba im Haus ihrer Eltern, sie will Anzeige erstatten. Die Mutter rät ihr ab, es nütze eh nichts und die Position ihres Vaters erlaube keinen Skandal. Seba ist wütend, sie will auch kein Kind mehr von Sheriff.  Wieder zu Hause, stellt sie fest, dass sie blutet, sie hat das Kind verloren.
An dieser Stelle wird die kurze Szene wiederholt, wo Fayza zu Hause am Fernsehen den Kurs Sebas beobachtet und notiert wo er stattfindet.
Dann wieder Seba, jetzt in ihrer Galerie.  Sie dreht Drahtpüppchen, tanzende Paare,  in den Händen. Ihr Mann kommt, will sie zurückgewinnen, er habe sie doch nur schützen wollen, habe Zeit gebraucht. Seba weist ihn ab, sie brauche ihn nicht, er komme zu spät.
Sheriff im Auto, an der Vorderscheibe baumeln Sebas Drahtpüppchen. Es kommt zu einer kurzen Begegnung zwischen Sheriff und Fayza, die eben aus dem Bus gestiegen ist und die Fahrbahn überqueren will.

Ein Monat zuvor
Nelly tritt mit ihrem Verlobten Omar in einer Comedy Show  auf. Sie verstehen sich gut. Nach der Show fährt er sie zu ihrer Mutter. Beim Überqueren der Straße grabscht ein Autofahrer Nelly an und schleift sie mit. Dann fährt er los. Nelly rennt ihm hinterher, bekommt den Fahrer zu fassen, steigt auf das Chassis. Andere Autofahrer schauen zu. Eine Scheibe geht in Bruch.
Nelly mit ihrer Mutter auf der Polizeiwache, Omar kommt dazu. Der Autofahrer hockt in der Ecke. Der Polizist will die Anklage nur wegen Raub aufnehmen, für sexuelle Belästigung sei er nicht zuständig. Er redet auf Nelly ein, sie solle diese Anklage zugunsten des Raubes fallen lassen. Zu Omar gewandt meint er, er wolle den Ruf seiner Zukünftigen retten. Nelly beharrt auf der Anzeige und der Polizist schickt sie auf die nächste Polizeistation. Mit dem Grapscher im Fonds fahren sie los.
Nelly am Fernsehen. Sie wird vom Moderator als erste Frau interviewt, die eine Anzeige wegen sexueller Belästigung erstattet hat. Eine Anruferin – Bussaina alias Fayza – bewundert sie, ein Mann beschimpft sie. Ihre Mutter und  Omar sehen am Bildschirm zu.
Nelly, ihre Mutter und Omar bei dessen Eltern zum Essen. Nellys Mutter und die Schwiegereltern drängen darauf, dass Nelly die Anzeige zurückzieht. Sie weigert sich. Ihr Verlobter unterstützt sie, gibt aber zu bedenken, dass er den verhassten Bürojob in einer Bank nur angenommen hat, damit die Eltern der Heirat zustimmen.
Fayza auf einer leeren Straße. Ein Mann macht sich von hinten an sie heran. Sie dreht sich blitzschnell um und sticht ihn mit einer Schere in den Unterleib. Der Mann fällt um und bleibt schmerzverkrümmt liegen. Fayza geht schnell weg, sie sucht Seba auf. Mit Tränen in den Augen will sie von Seba wissen, ob sie richtig gehandelt habe. Seba weiß es nicht. Fayza aber weiß jetzt, ja, es war richtig. Seba nimmt Fayza mit nach Hause und gibt ihr ein Kleidungsstück, um ihr blutverschmiertes Oberteil zu bedecken. Fayza steht voller Verwunderung vor Sebas riesigen Schränken voller Kleider. Seba schenkt Fayza eine Kette aus Draht.
Fayza holt ihre beiden Kinder in der Schule ab und findet sie draußen, mit dem Gesicht zur Wand gedreht. Sie dürfen die Schule nicht mehr besuchen, weil das Schulgeld nicht bezahlt ist. Zu Hause artet die Diskussion mit Adel in einen Krach aus, das Geld reicht einfach nicht, obwohl er auf Cafébesuch und Rauchen verzichtet habe. Adel fordert von ihr, dass sie wieder mit dem Bus fahre.
Fayza im Bus, wieder tastet sich ein Mann an sie heran. Sie sticht mit einem Messer zu. Wieder sucht sie Zuflucht bei Seba in deren Galerie. Diese erschrickt, wird wütend, und unterstellt Fayza, dass es diesmal nicht spontan geschehen sei. Fayza holt zu einer großen Rede aus und beharrt darauf, dass die Männer es verdient hätten. Seba gibt ihr schließlich Recht.
Kommissar Essam tritt auf, ein korpulenter, humorvoller Mann, dessen Frau Magda ein Kind erwartet und ihn jammernd bittet, sie ins Spital zu fahren.  Er beruhigt sie. Er untersucht den Blutfleck in einem der beiden Busse, in denen Männer gestochen wurden und vernimmt danach die beiden Opfer in ihren Spitalbetten. Dazwischen erfährt er von seiner Schwiegermutter, dass es noch nicht so weit sei mit dem Kind. Eine zweite dazwischen geschobene Szene zeigt Adel, den Mann Fayzas, der im Fernsehen einen Porno anschaut und danach seine Frau rüde beschimpft, weil sie ihn abweist. Dafür habe er sie schließlich geheiratet.
Beide vom Kommissar befragte Männer leugnen empört, Frauen im Bus angetatscht zu haben. In der Hose des zweiten Opfers, dessen Frau jammert, er habe nur den Bus genommen, weil sein Auto eine Panne habe,  findet der Kommissar eine Zitrone. Er weist die Gattin aus dem Zimmer und fragt den Mann, ob er vielleicht den Zitronentest durchgeführt habe: man stecke sich eine Zitrone in die Hose, stupse damit an eine Frau und wenn sie sich nicht wehre, mache man weiter. Er versichert dem Mann, dass er die Sache nicht weiter verfolgen werde, solange keine Anzeige vorliege, er wolle es nur wissen. Während die Ehefrau in ihrer Tasche nach dem Autoschlüssel kramt, nickt der Mann und der Kommissar verlässt den Raum in Begleitung seines Untergebenen.
Die Story der Grapscher ist bereits in allen Zeitungen, im Bus reden die Menschen darüber. Fayza hört es.
Der Kommissar trifft zu Hause auf seine Frau, die ihm befiehlt, in allen Spitälern nach Opfern zu suchen, was er gutmütig an seinen Mitarbeiter weitergibt. Magda beschwert sich, er sei nie für sie da und gesteht, sie habe einen Ultraschall machen lassen, sie hätte so gerne ein Mädchen gehabt. Der Kommissar hingegen freut sich über einen Jungen.
Der Kommissar erscheint bei Seba und erkundigt sich, ob sich eine ihrer Kursteilnehmerinnen eigenartig verhalten habe. Während der Befragung erscheint Fayza, kann sich dem Kommissar dank einer Notlüge entziehen. Auf der Toilette versucht sie, die Schere hinunterzuspülen. Sie will keine Beziehung mehr zu Seba. Nelly wehrt sich gegen ihre Mutter, die sie wieder zur Rücknahme der Anzeige bewegen will.
Der Kommissar untersucht nun auch den Fall des Mannes, den Fayza auf der Straße in den Leib gestochen hatte. Von dem Opfer gibt es keine Unterlagen, aber auf Grund einer abgelaufenen Telefonkarte, die er im Spital in der Hosentasche des Mannes findet und unter Vorspiegelung eines Gewinns eruiert der findige Kommissar Name und Adresse des Mannes.
Nelly nimmt mit vielen anderen an einem neuen Kurs von Seba teil und spricht sie später an. Seba versucht herauszufinden, was Nelly von ihr will und erkundigt sich, ob sie von der Sache im Bus gehört habe. Nelly meint, vielleicht sei dies die einzige Möglichkeit. Nachdenklich hört  Seba zu.
Nelly sucht Fayza auf dem Grundbuchamt auf, doch als Fayza die Beziehung zu Seba erkennt, erschrickt sie. Auf der Straße treffen die drei Frauen aufeinander.  Fayza wirft Seba vor, Nelly zu ihr geschickt zu haben, sie will nichts mit ihnen zu tun haben, sie bangt um ihre Kinder. Seba und Nelly erzählen ihr von Nellys Anzeige und reden auf Fayza ein, ihre Methode sei die einzig wirksame, doch Fayza wendet sich ab und geht. Als sie auf der Straße stürzt, nimmt sie Seba im Auto wieder auf. Alle drei beim Schuhmacher, der Fayzas Schuh flickt.
Der Kommissar sucht die Wohnung des Mannes auf, den Fayza auf der Straße gestochen hat und geht mit ihm zum Tatort, wo er am Boden die Nadel findet. Der Kommissar im Studio, wo Sebas Kurs stattfindet. Er sucht auf den  Antwortblättern nach allen Fayzas.
Die drei Frauen im Auto überlegen, wo man „es“ außer in den Bussen, die jetzt überwacht werden, auch noch tun könnte, ohne erwischt zu werden. Seba hat eine Idee: beim Fußballspiel (wo sie vergewaltigt wurde).
Das Trio beim Fußballspiel, auch der Kommissar ist da und lädt sie später vor. Er zeigt ihnen die Nadel und droht, dass er sie in der Hand habe. Fayza werde es ausbaden, den anderen beiden würden ihre Familien schon aus der Patsche helfen. Doch ein Prozess würde ihm nur die Frauenrechtlerinnen auf den Hals jagen und ihn von wichtigeren Aufgaben abhalten. Das wolle er nicht. Dann schickt er die drei Frauen heim mit der scharfen Warnung, es ja nicht wieder zu tun, sonst gebe es lebenslänglich.
Das Leben geht weiter, nichts wird besser. Fayza streitet sich mit ihrem Mann, der sie zum  Teufel jagt. Nelly reißt bei einem Kunden am Telefon im Callcenter die Geduld und droht, ihm sein Ding abzuschneiden. Omar soll Manager werden und die Comedy aufgeben und Seba versohlt im Souk einem Buben den Hintern, der sie auf den Po gehauen hat.
Den smarten Kommissar erwartet im Spital eine Tragödie. Seine Frau hat entbunden und ist bei der Geburt gestorben. Er ist tief getroffen, „zu spät“ sagt er zu der Toten, „doch ich bin da“. Der Arzt, der Magda entbunden hat, ist Sebas Mann. Sheriff sucht Seba auf, möchte sie zurückgewinnen, doch sie kann ihm sein Verhalten nach dem Fußballspiel nicht verzeihen. Sie will frei sein. Der Kommissar erfährt von seiner Schwiegermutter, dass sein neugeborenes Kind ein Mädchen ist.*
Nelly bereitet sich in der Comedy Show auf ihren Auftritt vor. Sie hat Fayza und Seba hergebeten, weil sie etwas vorhat. Was, will sie nicht sagen, zieht aber ein Messer hervor. Seba will sie davon abbringen, es sei alles ein Fehler gewesen. Fayza widerspricht heftig. Und beschuldigt Seba und auch Nelly, dass sie sich als Frauen der Oberschicht locker kleiden und die Haare offen tragen können, während sie, die nur unauffällig leben wolle, letztlich das Opfer sei. „Ihr Reichen seid schuld, dass ich mich schuldig fühle“. Darauf schiebt Seba ihrerseits Fayza mit ihrem Kopftuch und den langen Röcken die Schuld an den jetzigen Zuständen zu. Früher seien die Röcke auch kürzer gewesen. Fayzas Gesicht ist hasserfüllt, Seba scheint getroffen. Nelly fährt dazwischen.
Gespielt munter erzählt Nelly auf der Bühne ihre Geschichte, die sie mit Tränen in den Augen und der Feststellung beendet, dass jede Frau sich Sicherheit wünsche. „Und ich fühle mich nicht mehr sicher, ganz und gar nicht.“ Omar hat im Publikum zugehört.
Seba schneidet sich zu Hause mit einem Messer die Lockenpracht ab. Fayza beobachtet im Bus einen Mann, der ihre Arbeitskollegin begrapscht; diese lässt es sich mit schmerzlich verzogenem Gesicht gefallen.
Seba steigt in einen Bus und sticht einen Mann, der gerade am Abtasten einer Frau ist. Der Gestochene ist Fayzas Mann. Adel wird nach Hause gebracht, wo Fayza in seiner Hosentasche eine Zitrone findet. Sie gerät außer sich.  „Du auch!“
Seba stellt sich freiwillig der Polizei, doch der Kommissar will nichts von dem Fall wissen. Solange es keine Anklage gebe, läge nichts gegen sie vor. Gegen den Widerstand seines Mitarbeiters nimmt er ihr die Handschellen ab, empfiehlt ihr zu schweigen und schickt sie nach Hause.
Fayza in der Schule ihrer Kinder. Sie stellt sich mit erhobenen Händen an die Wand, an der die Worte „schießen“ und „schwimmen“ zu lesen sind. Zum Rektor, der bestürzt herbeieilt, sagt sie, er solle nie wieder ihre Kinder bestrafen. Er beschwichtigt und unter dem Jubel der Schulkinder, die am Fenster die Szene beobachten, nimmt sie die Arme herunter.
Im Gericht wird Nellys Anklage verhandelt. Neben ihr sitzen Omar und ihre Mutter. Auch Seba und Fayza sind anwesend, ebenfalls der Kommissar. Der Richter gibt bekannt, dass der Beklagte eine gütliche Einigung angeboten habe, ob sie die Anklage zurückziehe. Bevor Nelly antworten kann, erhebt sich Omar und verkündet „Nein, das tut sie nicht.“ Nelly hält die Klage aufrecht, sie strahlt. Auch ihre Mutter strahlt. Nach der Verhandlung begegnen sich Seba und Fayza. Zum ersten Mal liegt ein kleines Lächeln der Versöhnung auf ihrem Gesicht.

Würdigung und Kritik
Der Film von Mohamed Diab ist gleichzeitig eine fulminante Anklage gegen die sexuelle Belästigung von Frauen in arabischen Ländern, ein kritisches Portrait der ägyptischen Klassengesellschaft und eine subtile Studie der psychologischen Prozesse, die das soziale Drama bei Frauen auslöst. Eindrücklich wird die Frage nach Scham und Schuld, Sühne und Vergeltung gestellt.
Nicht von ungefähr gehören die drei Protagonistinnen des Films verschiedenen gesellschaftlichen Schichten an. Sie erleben sexuelle Belästigung und ihre Folgen anders und ihre Reaktionen auf die erlittene Demütigung sind verschieden. Nur schwer finden sie zueinander. Doch alle drei Frauen werden in dasselbe Dilemma gestürzt, entweder sie suchen Gerechtigkeit und Vergeltung und riskieren damit den Bruch mit ihren Familien und der Gesellschaft oder sie beugen sich und leiden weiter.
Es ist ein großes Verdienst des Films, dass die Männer nicht einfach als die Bösen hingestellt werden. Dass sie selber Gefangene bleiben des sexuellen Tabus, zeigt vor allem die Figur des Kommissars, der durch seine Darstellung männlicher Ambivalenz beeindruckt.
Nicht genug loben kann man die Leistung der Schauspielerinnen und Schauspieler.  Sie sind alle umwerfend gut, glaubwürdig, überzeugend. Man nimmt Seba die Blasiertheit, Nelly die Munterkeit, Fayza Angst, Wut und Mut fraglos ab. Aber auch ihre Verletzlichkeit  und ihre zögerliche Solidarität.
Der Aufbau der Films ist eher kompliziert. Durch kurze Schnitte und eine verschachtelte Erzählchronologie mit einigen Rückblenden erzeugt er eine dichte Atmosphäre und eine Spannung, die ihm sogar das Flair eines Krimis verleiht. Dazu tragen der Einsatz von Hell und Dunkel und der Soundtrack wesentlich bei. Aber es braucht konzentrierte Aufmerksamkeit, um dem Geschehen stets zu folgen.

Hintergründe
Mohamed Diab hat seinen Film im Jahr 2010 gedreht, vor dem Hintergrund einer wahren Begebenheit aus dem Jahr 2008. Damals hatte zum ersten Mal eine Frau im Fernsehen über einen sexuellen Angriff Zeugnis abgelegt.
Zwar wurde als Folge ein Gesetz gegen sexuelle Belästigung angekündigt, doch die Ereignisse vor und nach dem Ausbruch des arabischen Frühlings und der Revolution in Ägypten zeigen, dass sich nichts an den Übergriffen gegenüber Frauen geändert hat.
Zunächst schien alles auf eine demokratische Wende hinzuweisen. Am 11. Februar 2011 wurde der  ägyptische Präsidenten Hosni Mubarak, der das Land autokratisch regierte, nach heftigen Protesten gestürzt.  In den Wahlen im Herbst errang die konservativ-islamische Muslimbrüderschaft die Mehrheit und ihr Vertreter, Mohamed Mursi, wurde zum Präsident gewählt. Mursi strebte unter Missachtung des Volkswillens eine Erweiterung seiner Machtbefugnisse an und ließ unter dem Druck ultrakonservativer Kräfte eine neue Verfassung ausarbeiten, die auf der Scharia basieren sollte. Wieder kam es zu massiven Protesten und im Juli 2013 übernahm das Militär die Macht.  Mursi wurde abgesetzt und  im September verbot ein Gericht die Muslimbrüderschaft.
Zu den Protesten auf dem zentralen Tahrir Platz in Kairo versammeln sich stets Tausende von Menschen. Das dichte Gedränge erlaubt es Männern, sich an Frauen heranzumachen. Laut „Human Rights Watch“ haben die sexuellen Belästigungen von Frauen auf dem Tahrir Platz ein erschreckendes Ausmaß angenommen. Die dreißigjährige Musikerin Yasmine Baramawy, die am 23. November 2012 Opfer wurde einer Massenvergewaltigung, berichtete anschließend im Fernsehen darüber. Eine Meute Männer kreiste sie ein, riss  ihr die Kleider vom Leib, fiel über sie her, vergewaltigte sie, einer stieß ihr ein Messer in die Vagina.
Nicht-Regierungsorganisationen wie „Harassmap“  registrieren jetzt die Fälle und machen sie publik; Selbsthilfegruppen sind entstanden, die  versuchen, das Selbstvertrauen der Frauen zu stärken, einige bieten Selbstverteidigungskurse an.  Auch Männer haben sich dem Kampf gegen sexuelle Gewalt angeschlossen. Das sind positive Zeichen. Doch bis sich im Alltag der Frauen diesbezüglich etwas ändert, vor allem in den ärmeren Gesellschaftsschichten und auf dem Land, wird es noch lange dauern.

Didaktische Hinweise
Zielgruppen: Schulische Bildung; ab Sek II; Fächer: Politik, Ethik, Religion.

Erwachsenenbildung (für Seminare, die sich mit dem Arabischen Frühling, der Situation von Frauen in islamisch geprägten Kulturen oder mit Genderfragen beschäftigen)

Altersempfehlung: ab 16 Jahren

Im Arabischen Frühling allgemein und in der Revolte gegen die patriarchalen Regimes von Mubarak und Mursi in Ägypten haben Frauen eine entscheidende Rolle gespielt.  Zwar wurde die erste feministische Organisation in Ägypten bereits 1923 gegründet, die „Egyptian Feminist Union“ EFU,  und seit 1956 sind die Frauen stimm- und wahlberechtigt. Aber die patriarchale Tradition und das Personenstandsgesetz  stellen sie immer noch weitgehend unter das Diktat des Mannes.

Folgende Themen können diskutiert werden:

1. Die Frauen
Wie werden  ihre Lebensumstände beschrieben?
Wie ist ihr Verhältnis zu ihren Partnern?
Wie wird die Stellung der Frau in der Gesellschaft dargestellt?
Wie entwickelt sich die Solidarität zwischen Fayza, Nelly und Seba?
Was hindert, was fördert sie?

2. Die Männer
Wie werden die Lebensumstände der Männer beschrieben?

3. Die Gesellschaft
Welche Werte bestimmen die ägyptische Gesellschaft?
Wie drücken sich die Klassenunterschiede aus?
Was bedeutet  die Familie in dieser Gesellschaft?
Welche Rolle spielt das Geld? Die Arbeit? Die Politik?

4. Sexualität
Wie wird das Thema Sexualität thematisiert?
Warum fühlen sich die Frauen schuldig?
Warum beschuldigen sie sich gegenseitig?
Inwiefern trifft auch die Männer das sexuelle Tabu?
Wie gehen sie damit um: die Partner der drei Frauen? Der Kommissar? Die Opfer der drei Frauen?

5. Widerstand
Welche Möglichkeiten des Widerstandes stehen den Frauen offen?
Wer hilft? Wer nicht? Warum?
Was erreichen die Frauen, was nicht? Gründe?

6. Religion
Ägypten ist ein islamisches Land. (Die Christen, die sogenannten Kopten, bilden eine kleine Minderheit.)
Welche Rolle spielt die Religion in dem Film?

7. Vergleiche:
Frauenrechte in islamischen Ländern und bei uns?
Sind die Frauen in Europa den Männern in allen Bereichen gleichgestellt?
Wie steht es in Sachen Doppelmoral bei uns?

8. Rollenspiele:
Wie würde ich reagieren? (In verschiedenen Rollen. Männer sollen auch Frauenrollen übernehmen und umgekehrt)

9. Die Regie
Wie ist der Film aufgebaut?
Wie erzeugt er Spannung?
Wie setzt der Regisseur Lichteffekte ein?
Welche Rolle spielt die Musik?

Über den Regisseur Mohamed Diab
Mohamed Diab wurde 1988 in Ismailia, östlich von Kairo geboren, wo er auch die Universität besuchte. Nach dem Studium der Wirtschaftswissenschaften arbeitete er zunächst in der Wirtschaft bevor er den Mut fasste, seiner Leidenschaft fürs Kino nachzugehen. Er kündigte seinen Job und schrieb sich 2005 an der New York Film Academy ein. Danach schrieb er die Drehbücher folgender Filme:-· Den Thriller „Real Dreams“ (Ahlam Hakekeya, 2007)
-· „The Island“ (El Gezira, 2007) über einen Drogenbaron mit Ahmed El Sakka
-· „The Replacemennt“ (Badal Faed, 2009) über bei der Geburt getrennte Zwillinge
-· „Congratulations“ (Alf Mabrouk, 2009) mit dem Schauspielstar Ahmed Helmy
Auch für „Kairo 678“ hat er das Drehbuch geschrieben. Mohamed Diab gehört zu den wichtigsten Drehbuchautoren des Landes. „Kairo 678“ ist sein Regiedebüt.

Mohamed Diab über „Kairo 678“:
„In den Kinos machten sich viele Männer zu Beginn des Films erst einmal darüber lustig, dann wurden sie immer ruhiger, bis schließlich totale Stille herrschte, und nach dem Film ließen die Männer den Frauen den Vortritt. Das geschah einige Male. Ich bekam viele Anrufe von Frauen „Der Film veränderte mich. Heute habe ich etwas Gutes getan. Ich habe den Mann, der mich belästigte  erwischt. „ Sie erstatten Anzeige. Ich machte diesen Film, weil ich daran glaubte und ich glaubte, dass ich damit, im Kleinen etwas verändern könnte. Und ich glaube, das habe ich geschafft."

Literaturhinweise und Links:

Frauen in Ägypten:

www.faz.net/aktuell/feuilleton/frauen-in-aegypten-die-ruhe-nach-dem-sturm-12733.html

http://ecwronline.org/pdf/reports/2013/egyptian_women_conditions_in2012.pdf

http://www1.aucegypt.edu/src/wsite1/research/research_economicparticipation.htm

www.nytimes.com/2010/07/14/world/middleeast/14iht-letter.html?pagewanted=all&_r=0

www.globalpost.com/dispatch/news/regions/middle-east/egypt/120522/egyptian-women-presidential-election-military

Hintergründe:
Ägypten: Religionen und Revolutionen. Darum. Magazin aus Mission und Ökumene. Heft Nr. 3 Sept.-Nov. 2013

Yasmine Baramawy
Die ägyptische Künstlerin, die im November 2012 in Kairo dasselbe Schicksal erlitten hat wie die Seba im Film und die am Fernsehen darüber aussagte, wie Nelly im Film, berichtet auf Arabisch, englisch und französisch in verschiedenen Beiträgen über das, was ihr zugestoßen ist. Ein eindrückliches Zeugnis, das den Realitätsgehalt des Films hundertprozentig untermauert.
http://cairobymicrophone.wordpress.com/2013/05/18/i-felt-betrayed-by-the-revolution-itself-yasmine-el-baramawy-about-sexual-terrorism-and-revolutionary-inadequacies/

Eine Auswahl arabischer Literatur ägyptischer Autoren

Im Lenos-Verlag Basel sind folgende Bücher erschienen www.lenos.ch

Ich wollt‘, ich würd‘ Ägypter. Alaa al-Aswani. 2012, 265 S.
Arche Noah Chalid al-Chamissi. 2013, 407 S.
Taxi Chalid al-Chamissi Chalid. 2012, 205 S.
Der Jakubijân-Bau Alaa al-Aswani Alaa. 2010, 218 S.
(Das Buch wurde auch verfilmt: The Yacoubian Building; Regie: Marwan Hamed, Ägypten 2006, 161 Min., in Deutschland nicht im Verleih)
Ich will heiraten! Ghada Abdelaal, 2010, 218 S.
Hunger. Muhammad al-Bisati, 2010, 140 S.
Tante Sofija und das Kloster. Baha Taher. 2003, 132 S.
Der Ibis. Ibrahim Aslan, 2002, 220 S.
Safranerde. Edwar Al Charat. 1996, 259 S.

Im Unionsverlag Zürich sind die Klassiker von Nagib Machfuz erschienen www.unionsverlag.com
zum Beispiel: Die Midaq-Gasse, 1985 (Erstauflage; aktuell als Taschenbuch lieferbar)

Medienhinweise

Mona
Ein Film von Agnes Rossa; Ägypten, Deutschland 2008
30 Min., Dokumentarfilm, Bezug DVD: EZEF

Rachida
Ein Film von Yamina Bachir Chouikh, Algerien, Frankreich 2002
100 Min., Spielfilm, Bezug DVD: EZEF

Puppen aus Ton
Ein Film von Nouri Bouzid; Tunesien, Frankreich, Marokko 2002
90 Min., Spielfilm, Bezug DVD: EZEF

Jeder Tag ist ein Fest
Ein Film von Dima El-Horr, Libanon, Frankreich, Deutschland 2009
80 Min., Spielfilm, Bezug DVD: EZEF

Autorin: Regula Renschler
Redaktion: Bernd Wolpert
November 2013