Arbeitshilfe

Milliarden für den Stillstand. Die Rolle der EU im Nahostkonflikt

Dokumentarfilm von Sabrina Dittus
Deutschland 2015, 58 Minuten, Voice Over

Ein Trümmerfeld, Eselskarren und Pferdegespanne auf einer Staubstraße, Kinder und Jugendliche zwischen Häuser-Ruinen. Die Kamera steht im zerstörten Stadtviertel Shejayia in Gaza-Stadt. Der Film zeigt missglückte Entwicklungszusammenarbeit, weil ein politischer Rahmen dafür fehlt.

1. Shejayia in Gaza-Stadt  I  Friedensprozess, Oslo I Abkommen 1993

5,4 Milliarden Dollar Wiederaufbauhilfe ist Gaza nach dem Krieg im Sommer 2014 versprochen worden. Acht Monate später ist noch keines der 18:000 zerstörten Häuser wieder aufgebaut. Gerade mal sechs Stunden Strom gibt es pro Tag und 95% der Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Zwei Drittel der Bevölkerung ist unter 25 Jahre alt. Der Gazastreifen ist das am dichtesten besiedelte Gebiet der Erde, und für die Palästinenser/innen gibt es eine Überfülle an internationalen Hilfsorganisationen. Omar Shaban von Palthink for Strategic Studies bilanziert: „Die Hilfe hat uns geholfen zu überleben, aber wirklich verändert hat sie unser Leben nicht.“
Eine Karte wird eingeblendet, die die besetzten palästinensischen Gebiete zeigt: Gaza, Westbank und Ostjerusalem. Seit 1967 sind diese unter israelischer Besatzung. Ein Viertel der vier Millionen Einwohner/innen lebt in Armut, trotz der 25 Milliarden US-Dollar Hilfe der letzten 25 Jahre. Größte Geberin ist die EU. Unterlegt werden diese Informationen mit Bildern von der hügeligen Westbank, von der Mauer und Besatzungssoldaten.  Dann die historische Rückblende zum Handschlag von PLO-Chef Jassir Arafat mit dem israelischen Ministerpräsidenten Yitzhak Rabin und den hoffnungsvollen Worten Bill Clintons im September 1993 in Washington DC, als das Oslo I-Abkommen unterzeichnet wurde.  Beide Seiten hatten sich zum ersten Mal gegenseitig anerkannt.

2. Ramallah, Westbank  I  Friedensprozess: Oslo II-Abkommen 1995

1994 wird die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) gegründet. Die internationale Gemeinschaft beginnt in diesen noch zu schaffenden Staat zu investieren. Sein Aufbau sollte wenige Jahre dauern. Das sei für die EU eine Zeit der Hoffnung gewesen, sagt der ehemalige EU-Sonderbeauftragte für den Nahostfriedensprozess, Miguel Angel Moratinos.
Doch die Palästinenser/innen seien heute schlechter dran als vor Oslo, analysiert Tariq Dana vom palästinensischen Think-Tank Al-Shabaka. Die Palästinensische Autonomiebehörde ist von Gebergeldern abhängig, ein eigener Staat weiter entfernt denn je. Die Arbeitslosigkeit in Gaza beträgt 43%, in der Westbank 20%, die Zahl der Siedler ist gegenüber der Zeit vor Oslo mehr als doppelt so hoch, 700 Kilometer Mauer seien mittlerweile gebaut. Tariq Dana macht dafür neben der Rolle der Entwicklungszusammenarbeit vor allem das Oslo-Abkommen verantwortlich. Im Film folgt wieder die Einblendung einer Karte, die zeigt, wie durch das Oslo II-Abkommen die Westbank in A-, B- und C-Zonen aufgeteilt wurde. Das gesamte C-Gebiet mit über 60% der Westbankfläche ist unter rein israelischer Militärverwaltung. Geplant war, dass alle Gebiete im Verlauf von fünf Jahren an die Palästinenser/innen übergeben werden. Die internationale Hilfe blieb unverändert, heute kommen 80% des Haushalts der Palästinensischen Autonomiebehörde von Geberländern, vor allem der EU. Dennoch weist dieser Haushalt ein Defizit auf. Der Wirtschaftsminister der Palästinensischen Autonomiebehörde rechtfertigt sich, ein Entwicklungsprozess unter Besatzung sei höchst fraglich, schließlich hätten die Palästinenser keine Kontrolle über ihre Grenzen und über ihre Ressourcen.

3. Beitunya, Güter-Checkpoint  I  Weltbank  I  Industriezonen

Beitunya ist ein Kontrollpunkt für den Güterverkehr zwischen der Westbank und Israel. Im sogenannten „back to back“-System werden palästinensische Laster am Kontrollpunkt aus- und umgeladen. Seit der 2. Intifada im Jahr 2000 ist dieses Sicherheitssystem nun in Kraft. Die Kamera begleitet die Ankunft eines Lasters mit Milchprodukten. Alle Paletten werden auf einer Rampe abgeladen, Soldaten schlitzen die  Plastikverpackungen der Paletten auf. Mit Hunden kontrollieren sie die Ware und den LKW. Dann wird wieder eingeladen, die Kühlung im LKW wird geprüft. Gegen 14.00 Uhr kommt ein israelischer Laster und übernimmt die Ware nach Jerusalem. Wenn das back to back-Prozedere länger dauert, z.B. zwei Tage, nimmt der Kunde die Ware nicht mehr an, weil sie an Haltbarkeit verloren hat, berichtet der LKW-Fahrer. Solche Maßnahmen führen zu wesentlich höheren Kosten für die palästinensische Wirtschaft, sagt die Weltbank. Für Entlastung der Wirtschaft sorgen Geber mit einer Milliarde US-Dollar im Jahr. Die Weltbank sähe durchaus Entwicklungsmöglichkeiten für Palästina, wenn diese israelischen Restriktionen fallen würden. Außerdem hebt sie in einer Studie das C-Gebiet hervor, in dem sich wichtige Ressourcen wie gutes Ackerland befinden. Wenn die Palästinenser/innen dieses Gebiet nutzen dürften, könnte man dort 3,4 Milliarden US-Dollar erwirtschaften. Mindestens die Hälfte der Unterstützungszahlungen wären dadurch überflüssig. „Der Schlüssel zu palästinensischer Prosperität liegt in der Beseitigung israelischer Restriktionen“, heißt es etwas kompliziert bei der Weltbank.
Ausländische Geldgeber setzen jedoch lieber auf Industriezonen wie in Al Jalameh bei Jenin, in Jericho und Betlehem. Sie glauben, dass solche Export-Wirtschaftszonen mit israelischen und palästinensischen Investoren und palästinensischen Arbeiter/innen die Wirtschaft ankurbeln. Viele Palästinenser lehnen diese Industriezonen jedoch ab, weil die Besatzung nicht in Frage gestellt wird.

4. Al Jalameh, Industriezone  I  Mauer  I  Grundwasser

Die Industriezone Al Jalameh startete Mitte der 90er Jahre. Sie wurde von der Palästinensischen Autonomiebehörde befürwortet und erhielt zum Aufbau einen 14 Millionen Euro Kredit der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Israel bestimmte den Ort und behielt die Kontrolle über die Strom- und Wasserversorgung. Die Filmbilder zeigen vor allem Brache, gerodete Fläche, Ackerland  und ein Elektrizitätswerk. 2014 übergaben die Deutschen das Projekt an die Türkei. Der Wirtschaftsminister der Palästinensischen Autonomiebehörde glaubt nicht, dass diese Industriezonen jemals funktionieren werden, weil Israel über den Export der Produkte aus der Westbank bestimmt. Andere Kritiker kommen im Film ebenfalls zu Wort. Das Land ist Lebensgrundlage für die Bauern der Region. 80% der Bevölkerung lebt von der Landwirtschaft. Zerstört werde durch die Industriefläche auch die Fähigkeit zur Selbstversorgung Palästinas. Es müssen Lebensmittel aus Israel bezogen werden. Verlust von Ackerland in Al Jalameh gab es bereits durch den Bau der Mauer. Diese erschwert den Export der landwirtschaftlichen Erzeugnisse zusätzlich. Nun sollen die Einwohner auch noch zu billigen Industriearbeiter/innen gemacht werden, fürchten sie.
„Ramallah hat mehr Regen als London, Heathrow, wirklich trocken ist es nur im Jordan-Graben“, sagt der deutsche Hydrologe Clemens Messerschmidt. Das viele Wasser vom Winter sickert ins Grundwasser. Das Wasservorkommen in der Westbank sei außergewöhnlich hoch.

5. Ein Samia/Westbank, Brunnenfeld  I  Wasserversorgung

Der Wassermangel in Palästina sei eine „politisch erzeugte Austrocknung“. Unter der Besatzung hätten die Palästinenser/innen keine Möglichkeit, ihre Wassernutzung zu steigern. Im Oslo II-Abkommen erhielten sie eine bestimmte Menge Wasser zugesprochen: die damalige Verbrauchsmenge von 118 Millionen Kubikmeter. Weitere 100 Millionen sollten erschlossen werden. Heute verfügen die Palästinenser/innen nur noch über 90 Millionen Kubikmeter Wasser. Deutschland ist bis heute der größte Geber im Wassersektor. 2014 gab es in der Westbank 73 Liter pro Person und Tag, die WHO sieht aber 100 Liter als Standard vor. Was zunimmt sind die Zukäufe bei der israelischen Wasserversorgung Mekorot, was die Palästinenser immer abhängiger von der israelischen Wasserversorgung macht.

6. Jiftlik/Jordantal  I  Wassernotstand

Die Zuschauer/innen lernen den Alltag einer Familie im Jordantal kennen. Hier haben die Menschen nur 20 Liter Wasser pro Tag zur Verfügung, bereitgestellt von der israelischen Wasserversorgung Mekorot. Eine Frau berichtet, einmal am Tag läuft für eine Stunde Wasser in ihren Behälter. Aus diesem wird das Wasser auf das Dach des Hauses hochgepumpt. Der Film zeigt, wie das Wasser vor der Zeit versiegt. Mit dem Scheitern von Oslo II bleibt die Kontrolle über das Wasser in israelischen Händen. Jedem Brunnenbau muss die israelische Zivilverwaltung zustimmen. Sie erlaubt im westlichen Aquifer, dem Hauptvorratsbecken, aber keinerlei Brunnenbohrung. Nach wie vor ist Deutschland über die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Wassersektor aktiv. Die GIZ schreibt, dass sie beigetragen habe, die „Performance der Wasserbedingungen stark zu verbessern“. Sie hat, wie lokale Hydrologen berichten, Rohrleitungen in Dörfern ausgebessert und teils auch neu verlegt. Messerschmidt wirft den deutschen Planern vor, dass sie Projekte verfolgen, in denen der Punkt „Zugang zu Wasser“ überhaupt nicht auftaucht. Denn hier müsste man sich schließlich mit den israelischen Behörden anlegen und das vermeide man. Die GIZ wirbt in einer Publikation mit der Frau aus Jiftlik, der die GIZ einen Wassertank versprochen hat. Dieser sei aber nie gekommen, sagt die Frau. „Man wird müde, dieses Leben zu leben“, meint sie angesichts der Wassernot in Küche und Bad.
Mit jeder Verbesserung der Wasserversorgung müsse auch deren Quantität erhöht werden. Aber, so Messerschmidt: „Das Wasser fließt in Strömen um Jiftlik herum zu den illegalen Siedlungen.“ Doch die Bundesregierung oder die EU protestieren nicht, sondern richten sich auf den Status quo ein.
Man sieht einen Bach von einer Quelle gespeist, den die Bewohner des Dorfes und weitere Dörfer nicht mehr verwenden dürfen. Ein dickes Wasserrohr leitet dieses Wasser zu einer israelischen Siedlung. Viel Frust über die diversen Hilfsorganisationen ist zu sehen. Im Jordantal gibt es nicht ein einziges Büro einer Hilfsorganisation, beschwert sich etwa das lokale Jordan Valley Solidarity Committe, das gegen die Vertreibung der Palästinenser/innen aus dem Jordantal arbeitet.

7. Ramallah/Westbank  I  Aussageverweigerung deutscher Geber

Das Stadtbild von Ramallah ist modern: Fünf-Sterne-Hotels, Sushi Restaurants, Bars. Nicht nur Ausländer/innen auch  die palästinensische  Elite profitiert von den Hilfsgeldern. 50-60% der Mittel wandern aber oftmals zurück in die Geberländer. Die GIZ in Palästina hat ein 240 Millionen Euro Jahresbudget. Die GIZ hat keine Zeit für die Filmemacherin. Das über ein Jahr lang angebahnte Interview wurde kurzfristig abgesagt. Auch bei den anderen deutschen Institutionen sieht es mau aus. Die KfW stand von Anfang an nicht zur Verfügung, ebenso wenig das deutsche Vertretungsbüro in Ramallah. Viele Palästinenser/innen sind mittlerweile sauer über die Geber und wünschen ihren sofortigen Abzug, aber das wäre ein wirkliches Problem sagt Dana - wegen der mittlerweile großen Abhängigkeit von den internationalen Gebern.

8. Ostjerusalem, UNWRA-Lagerhalle  I  Nahrungsmittelhilfe

Die UNWRA, das UN-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge, versorgte im Jahr 2000 80.000 Menschen mit Nahrungsmitteln, heute sind es 800.000. Nach Ansicht der UNWRA wird es immer schlimmer: drei Kriege in Gaza und die Verhärtung der Besatzung. Die UNWRA bezahle den Preis für das politische Versagen der internationalen Gemeinschaft.
Das Auseinanderklaffen von Hilfe und Politik, 20 Jahre nach dem Oslo-Prozess, mache die Arbeit für eine Zweistaatenlösung nahezu unmöglich, heißt es bei der deutschen Nichtregierungsorganisationen medico international. Israelische Siedlungen, Militärzonen, Ausgrabungsstätten  etc. nehmen bereits  43% der Westbank ein und sind für Palästinenser nicht mehr zugänglich. Israelische Politiker reden bereits von einer Annexion der C-Gebiete.

9. Süd-Hebronberge  I  Haus- und Infrastrukturzerstörungen

Medico international ist in Süd-Hebron in nicht anerkannten palästinensischen Gemeinden aktiv, die deshalb keinen Zugang zu Wasser und Strom haben. Sie bekommen auch keine Baugenehmigung für einen Stall oder ein Zelt. Es sei offensichtlich, dass die Israelis in den letzten Jahrzehnten versucht haben, die Zivilbevölkerung aus den C-Gebieten in die A- und B-Gebiete zu treiben. Wenn man eine Zweistaatenlösung unterstützt, müsse man diese Menschen unterstützen, damit sie bleiben können. Eine lokale Solar-Initiative baut  Windräder für diese schutzbedürftige Bevölkerung. Es wäre eigentlich Aufgabe der Israelis, für menschenwürdige Lebensbedingungen für die Menschen zu sorgen. Stattdessen behindern sie auch noch die Arbeit von Hilfsorganisationen.
Wie die Zelte und Ställe, gibt es auch für die von medico international installierten Solarpanels eine Abrissverfügung oder die Stufe davor, eine Baustoppverfügung. „Wir mussten unseren Geldgeber, das Auswärtige Amt, verständigen“, erzählt der medico-Referent im Film. „Die haben dann Cogat, die israelische Militärverwaltung, verständigt. Deutschland setzt seit zwei Jahren auf Dialog mit Cogat, der stagniert, es wurde keine Verfügung zurückgenommen.“ Aber auch ein Weiterbau ist nicht wirklich möglich. Medico international ist deshalb schweren Herzens aus dem Projekt ausgestiegen, obwohl es die Menschen dort bräuchten. „Man kann keinen Staat schaffen durch Entwicklungsprojekte, ohne nicht gleich auch die politischen Rahmenbedingungen mitzuschaffen“. Bei medico international ist man überzeugt davon, dass Israel dazu bewegt werden muss, die Besatzung zu beenden.
Die EU sei Geldgeber aber kein politischer Akteur, wird in Palästina über die EU gespottet. John Gatt-Rutter, EU-Repräsentant für das Westjordanland und Gaza, sieht sehr wohl ein politisches Ziel der EU: „Wir hätten nicht all dieses Geld investiert, wäre es nicht für die Zweistaatenlösung. Wir versuchen jetzt unsere Haltung in Aktion zu übersetzen. Wir wollen nun diese Rolle von innen spielen.“ Dazu gehöre, dass EU-Forschungsgelder nicht länger in Siedlungen fließen dürften und dass Siedlungsprodukte gekennzeichnet werden müssten. Die EU verfolgt einen Infrastrukturmasterplan für 100 Gemeinden in C-Gebieten. Die Zerstörung von EU-Projekten will die EU nicht länger hinnehmen. Sein Vorgänger Moratinos ergänzt: „Wir können nicht immer sagen, ja wir wollen zwei Staaten und dann tun wir nichts für den zweiten Staat.“

10. Gaza, UNWRA-Schule, Flüchtlingsunterkunft  I  EU-Außenpolitik

Ihre erste Auslandsreise unternahm die EU-Außenbeauftragte  Mogherini nach Tel Aviv, Gaza und Ramallah. Die EU müsse Akteur werden, sagte sie. Der einzige Weg, Gaza wirklich zu helfen, sei ein palästinensischer Staat. 135 Staaten haben diesen Staat Palästina bereits anerkannt, darunter Schweden, als erstes EU-Land. Das EU-Parlament relativierte seinen Beschluss zur Anerkennung Palästinas. Diese soll erst geschehen, wenn es vorher Friedensverhandlungen gab. Das ärgert den Alt-EU-Politiker Moratinos:  „Warum überlassen die EU das einem Prozess, der niemals kommt?“ Und der jetzige EU-Vertreter in der Westbank zeichnet eine düstere Zukunft: „Wir rücken gefährlich nahe an eine Konfrontation. Die Dinge werden möglicherweise sehr gefährlich.“

Würdigung und Kritik

Es ist ein sehr gelungener, unaufgeregter und informativer Film, der sein Hauptthema, die Grenzen von Entwicklungshilfe in Palästina aufzuzeigen, angesichts fehlender politischer Perspektiven, sehr gut darstellt. Er transportiert auch die Ergebnisse des Oslo-Prozesses sowie die EU-Politik gegenüber Palästina. Letztere vermeidet es – wie auch die deutsche Politik – Konflikte mit der israelischen Regierung wegen deren Menschenrechts- und Völkerrechtsverletzungen einzugehen. Der Film motiviert zu eigenen weiteren Recherchen, z.B. herauszufinden, welche Projekte EU und Bundesregierung bislang unterstützt haben?
Es wird deutlich, dass für zahlreiche Begrenzungen in Palästina die Struktur der Besatzung bzw. die Besatzungsmacht direkt verantwortlich ist. Dieser Blick auf Israel als Besatzungsmacht kann zum Vorwurf der Einseitigkeit führen. Wie man damit umgehen kann, zeigt ein Text von Rupert Neudeck (weiter hinten). Wer das nicht aushält oder wem dies zu riskant erscheint, weil z.B. der öffentliche Druck für ihn/für sie zu groß ist, sollte gleich eine weitere Veranstaltung planen, in der die israelische Perspektive im Zentrum steht (etwa der NDR-Film „The voice of peace“ über eine israelische Friedensinitiative). Aber Achtung: jeglicher Vergleich hinkt! Die Besatzung ist eine einseitige Maßnahme ist und es geht hier um einen asymmetrischen Konflikt. Außerdem ist Israel kein Entwicklungsland.
Der Film greift nicht alle Erzählstränge auf. Zu Recht konzentriert er sich auf das für die Geschichte Wesentliche. So wird beispielsweise erwähnt, dass das besetzte Palästina aus Gaza, Westbank und Ostjerusalem besteht, auf Ostjerusalem wird jedoch nicht weiter eingegangen. Da es von Israel völkerrechtswidrig annektiert ist, unterscheidet sich sein Status noch einmal von den anderen besetzten Gebieten. Auch die Wasserfrage könnte man  detaillierter darstellen, da es seit Oslo immer noch das gemeinsame (israelisch/palästinensische) Wasserkomitee gibt. Im Ergebnis läuft es aber auf dasselbe hinaus, wie auch der Film berichtet.
Palästinenser/innen kommt es oftmals so vor, als würden sie von ausländischen NGOs überrannt. so gibt es eine Aussage im Film, wonach Palästina wohl die zahlreichsten NGOs hat. Dies nachzuweisen dürfte schwierig werden, da auch andere hot spots auf der Erde eine Anziehungskraft für NGOs entwickeln (z.B. nach dem Tsunami).
Eine radikale Kritik an der Entwicklungshilfe für Palästina findet nur am Rande statt. Durch die Besatzung ist Palästina tatsächlich ein Spezialfall der Entwicklungszusammenarbeit. Denn eine Besatzungsmacht hat nach dem Völkerrecht Pflichten. Sie muss das Wohlergehen und die Existenz der Besetzten sicherstellen. Man könnte also argumentieren, indem die EU so viel Geld für die Palästinenser/innen ausgibt, entlastet sie die Besatzungsmacht von ihren Pflichten. In einem Film-Interview wird dieser Gesichtspunkt am Rande angesprochen.

Hintergrund

27. Juli 2016: EU protestiert  gegen die Zerstörung von EU-Projekten durch Israel
Der EU-Botschafter in Israel, Lars Faaborg-Andersen hat laut einem Medienbericht in der israelischen Zeitung Haaretz die israelischen Hauszerstörungen im C-Gebiet der Westbank scharf kritisiert. Von 2.000 Bauanträgen im C-Gebiet zwischen 2009 und 2013 seien nur 44 Bauten bewilligt worden, sagte er. Nur noch 30% des C-Gebiets sei im privaten palästinensischen Besitz. Dennoch würden die Besitzer keine Erlaubnis erhalten, ihr Land zu entwickeln.
Im ersten Halbjahr 2016 habe das israelische Militär allein 91 EU-Bauten  zerstört. Das seien mehr als im gesamten Jahr 2015. Seit dem Jahr 2009 seien 170 Schulen, Gemeinschaftshäuser etc., die mit EU-Hilfsgeldern errichtet wurden, vom israelischen Militär zerstört worden. Aviva Bar Ilan, der die Abteilung für europäische Organisationen im israelischen Außenministerium leitet, hatte im Januar berichtet, dass die EU überlegen würde, Israel für die Zerstörung von EU-Projekten haftbar zu machen. Darauf Bar Ilan: „Illegales Bauen verdient den Abriss, Israel akzeptiert die EU-Interpretation von humanitärer Hilfe nicht.“
(Angaben aus dem Artikel „EU Slams Israel's Destruction of Palestinian Homes in West Bank's Area C”, der israelischen Zeitung Haaretz vom 27. Juli 2016)

EINSEITIG zugunsten der Rechte und des Lebens der Palästinenser. Ja, was sonst?

Beitrag von Rupert Neudeck (1939-2016) am 24. Februar 2013 zum Vorwurf, er sei in seinem Vortrag in Bad Honnef am 22. Februar 2013 EINSEITIG gewesen.

Dass mein Vortrag einseitig gewesen sei, ist richtig. Ich stelle mich ganz auf die Seite des Rechts und des Lebens. Ich forderte die Erhaltung des Staates Israel, der dabei ist, sich selbst zu zerstören.
Wenn der Staat Israel mehrheitlich ein jüdischer Staat bleiben will, ist es allerhöchste Zeit, den zweiten Staat Palästina besser heute als morgen entstehen zu lassen.
Israel meint, es habe noch Jahrzehnte Zeit, sich zu entscheiden, ob es ihn noch will.
Das ist grausam falsch.
Wir Deutsche sind zur Einseitigkeit für die Menschenrechte, für das Leben aller Völker nach dem von uns zu verantwortenden Holocaust mehr verpflichtet als jedes andere Volk der Erde.
Zu dieser Einseitigkeit bekenne ich mich, wo ich gehe und stehe.
Deshalb ist der Vorwurf, ich sei einseitig gewesen in meinem Vortrag, absolut zutreffend.
Ich freue mich über dieses Urteil, denn genau das wollte ich erreichen, dass alle aus dem Saal herauskommen und sagen:  Endlich haben wir mal einen ganz einseitigen Appell zugunsten der Menschenrechte gehört, zugunsten der Rechte der Juden in Israel,
zugunsten der Rechte der Palästinenser in Israel,
zugunsten der Rechte der Palästinenser in der Westbank,
zugunsten der Rechte der Palästinenser im völlig übervölkerten Gazastreifen,
zugunsten der Rechte der Palästinenser in Israels Administrativhaft,
zugunsten der letzten Atemzüge von Samir Issawi,
zugunsten der Palästinenser, die von Siedlern drangsaliert werden,
zugunsten von Palästinensern, die von der Hügeljugend angegriffen werden,
zugunsten der Palästinenser, die weiter in einem besetzten Land leben müssen.

Der Eindruck, dass ich in meinem Vortrag EINSEITIG war, ist goldrichtig.
Einseitig wie die „Rabbis for Peace“,
einseitig wie die „Physicians for Human Rights“,
einseitig wie die israelische Menschenrechtsorganisation B´Tselem,
einseitig wie die Machsom Watch Frauen,
einseitig wie Uri Avnery,
einseitig wie Amira Hass,
einseitig wie Aussagen von Martin Buber, der uns immer gelehrt hat:
Nie die Rechte der jeweils anderen, nie die Rechte der eigenen Nachbarn vergessen.

(Literaturhinweis: Rupert Neudeck, Ich will nicht mehr schweigen -Über Recht und Gerechtigkeit in Palästina, Melzer Verlag, Neu-Isenburg 2005)

Die Regisseurin Sabrina Dittus

Sabrina Dittus studierte Germanistik und Philosophie, promovierte in Philosophie. 2001 wechselt sie nach ihren eigener Einschätzung als Quereinsteigerin in den Medienbereich und gründet 2005 eine eigene Produktionsfirma. Sie arbeitet freischaffend als Filmemacherin, Autorin und Dozentin (u.a. an der Universität der Künste Berlin und der Weissensee Kunsthochschule). Ihre Filme beschäftigen sich mit kulturellen, philosophischen oder sozial-politischen Themen. Derzeit arbeitet sie an einem Film mit dem Arbeitstitel „Die neuen Gaza-Monologe“.

Filme:
2013 Urban Prayers. Reinventing Religion in the City
2014 Explorers of the Mind. The Unknown World of Lucid Dreaming
2015 Milliarden für den Stillstand.

Didaktische Hinweise
Zielgruppen: Schule: ab Sek II; Fächer Politik, Geografie, Ethik, Religion; Außerschulische Bildungsarbeit, Erwachsenenbildung

Altersempfehlung: ab 16 Jahren

Themen: Nahostkonflikt, Palästina, Entwicklungszusammenarbeit, deutsche und EU-Außenpolitik gegenüber Palästina, Friedensprozess, Alltag in Palästina

Vorschläge für das Filmgespräch

Fragen, die sich aus dem Film ergeben, nachdem Verständnisfragen geklärt sind:

  • Was ist eigentlich aus dem Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinenser/innen geworden?
  • Wer profitiert von der Entwicklungszusammenarbeit in Palästina?
  • Wie könnte es zu einem Ende der Besatzung kommen?
  • Wie könnte es zu einer Zwei-Staatenlösung kommen?
  • Welche Rolle nehmen Deutschland und die EU ein?

Nach der Vorführung des Films sollte es auf jeden Fall die Möglichkeit zum Nachfragen geben. Sofern der/die Moderator/in nicht selbst über das entsprechende Hintergrundwissen verfügt, sollte jemand eingeladen werden, der auskunftsfähig ist. Zu empfehlen ist z.B. eine Person aus dem EAPPI-Programm des Weltkirchenrates. Über 50 Personen aus Deutschland haben mittlerweile diesen dreimonatigen Menschenrechtsdienst in Palästina und Israel geleistet (Kontakt über: www.eappi-netzwerk.de).

Der Film, öffentlich gezeigt, eignet sich auch als Einstieg in eine kontroverse Diskussion, z.B. mit einem/einer EU-Politiker/in oder einem/einer  GIZ-Vertreter/in und jemandem, der sich für die Rechte der Palästinenser/innen einsetzt.

Dokumente, Links und Landkarten zum Film

  • Dossier zum Film; Autorin: Sabrina Dittus
    http://info.arte.tv/de/geld-statt-politik-die-bittere-bilanz-nach-22-jahre-oslo-friedensprozess
  • Dokument des Oslo I Abkommens (deutsch): http://palaestina.org/fileadmin/Daten/Dokumente/Abkommen/Friedensprozess/prinzipienerklaerung.pdf
  • Dokument des Oslo II Abkommens (nur auf Englisch): http://palaestina.org/fileadmin/Daten/Dokumente/Abkommen/Friedensprozess/interimsabkommen.pdf
  • 20 verlorene Jahre, Israel/Palästina: Die unerfüllten Hoffnungen der Osloer Verträge: https://www.medico.de/20-verlorene-jahre-14638/
  • Bericht des UN-Menschenrechtsrates über den Gaza-Krieg 2014 (nur auf Englisch): http://www.ohchr.org/EN/HRBodies/HRC/CoIGazaConflict/Pages/ReportCoIGaza.aspx#repor
  • Wassernotstand in Gaza: http://www.tagesschau.de/ausland/wasser-gaza-101.html
  • Landkarte von der israelischen Menschenrechtsorganisation B’tselem, die die A-, B-, und C-Gebiete zeigt: http://www.btselem.org/download/area_c_blocked_to_palestinian_use_full_eng.pdf
  • Beitrag Wachstumsbremse Besatzung:
    http://www.zenithonline.de/deutsch/politik/a/artikel/wachstumsbremse-besatzung-003406/
  • Weltbank-Bericht  Area C and the Future of the Palestinian Economy (nur auf Englisch): http://www-wds.worldbank.org/external/default/WDSContentServer/WDSP/IB/2014/01/23/000442464_20140123122135/Rendered/PDF/AUS29220REPLAC0EVISION0January02014.pdf
  • EU-Forschungsgelder nicht für Siedlungen: EU und Israel finden doch noch einen Kompromiss:
    http://www.welt.de/politik/ausland/article122335969/EU-und-Israel-finden-doch-noch-einen-Kompromiss.html
  • Umfangreiches Dossier der Bundeszentrale für politische Bildung zum Nahostkonflikt:
    http://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/54655/nahost

Links

  • UNWRA: http://www.unrwa.org/who-we-are
  • GIZ, Palästina: https://www.giz.de/de/weltweit/379.html
  • EU, Palästina (englisch) http://eeas.europa.eu/palestine/index_en.htm
  • Jordan Valley Solidarity Group (englisch) http://jordanvalleysolidarity.org/
  • Ökumenisches Begleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI): www.eappi-netzwerk.de

Literatur- und Materialhinweise

  • Broschüre zu Siedlungen: Handel gegen den Frieden: Wie Europa zur Erhaltung illegaler israelischer Siedlungen beiträgt; hrsg. von über 20 europäischen Hilfsorganisationen, 2012,
    36 Seiten
  • Download: https://www.medico.de/fileadmin/_migrated_/document_media/1/bericht-handel-gegen-frieden-wie-europa-zur-er.pdf
  • Broschüre zu Wasser:
    Wassernöte – Palästinensern wird der faire Zugang zu Wasserressourcen vorenthalten / besetzte Gebiete / Palästinensische Autonomiegebiete, hrsg. von Amnesty International 2009: 132 Seiten
    Download: https://senderfreiespalaestina.de/pdfs/wassernoete_AI_bericht.pdf
  • Nahostlexikon: Der israelisch-palästinensische Konflikt von A-Z. Herausgeber: Gernot Rotter und Shirin Fahti. Palmyra Verlag, Heidelberg 2001.
  • Israel verstehen, SympathieMagazin Nr. 01/2015 Herausgeber: Studienkreis für Tourismus und Entwicklung e.V. Bezug: www.sympathiemagazin.de
  • Palästina verstehen, SympathieMagazin Nr. 15/2013 Herausgeber: Studienkreis für Tourismus und Entwicklung e.V.; Bezug: www.sympathiemagazin.de
  • Die Politische Ökonomie der israelischen Besatzung; Shir Hever  
    Neuer-ISP-Verlag, Köln 2014, 263 Seiten
  • Illusion of Development under Israeli Occupation: The Political Motivations of Donors to the Palestinians; Nassar Ibrahim; Latin Patriarchate Printing Press, Bethlehem 2011
    (Der Schriftsteller Nassar Ibrahim ist Co-Direktor des "Alternative Information Centre (AIC)" einer israelisch-palästinensischen Einrichtung in Beit Sahour)

Filmhinweise

  • To see if I’m smiling – Um zu sehen, ob ich lächle
    Regie: Tamar Yarom, Israel 2007, OmU
    60 Min., Dokumentarfilm, OmU, DVD
    Bezug: EZEF
  • Jerusalem - The East Side Story
    Regie: Mohammed Alatar, Palästinensische Autonomiegebiete 2008, 57 Min., Dokumentarfilm, OmU
    Bezug: EZEF
  • Nach der Stille
    Regie: Stephanie Bürger, Jule Ott u. Manal Abdallah; Palästinensische Autonomiegebiete Deutschland 2011, 82 Min., Dokumentarfilm
    Bezug: EZEF
  • Sei still (Be quiet)
    Regie: Sameh Zoabi, Palästinensische Autonomiegebiete, Frankreich 2005, 19 Min., Kurzspielfilm
    Bezug: EZEF
  • The Law In These Parts
    Regie: Ra'anan Alexandrowicz, Dokumentarfilm 100 Min.
    (als DVD nur mit Regionalcode 1; US Import verfügbar)
    Info siehe: http://www.pbs.org/pov/thelawintheseparts/
    https://www.thelawfilm.com/eng#!/the-film

Autorin: Wiltrud Rösch-Metzler
Redaktion: Bernd Wolpert
September 2016