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Camino al la Paz

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Spielfilm von Francisco Varone
Argentinien, Niederlande, Deutschland 2015, 94 Minuten, OmU

Inhalt

Gerade erst ist Sebastián, etwa Mitte 30, ohne Arbeit und ständig knapp bei Kasse, mit seiner frisch angetrauten Frau Jazmín in eine neue kleine Wohnung umgezogen, als auch schon das offenbar falsch umgestellte Telefon klingelt und der Anrufer einen Fahrservice bestellt. Sebastián hütet seinen alten Peugeot 505 zwar wie einen Augapfel, aber zum Taxifahrer fühlt er sich nun nicht berufen. Die ständigen Vorwürfe seiner Frau, die obendrein gerne ein Baby hätte, möchte er sich aber auch nicht länger anhören. Als die Anrufe nicht aufhören, nimmt er seine Chance wahr. Einer seiner ersten Kunden ist der kränkliche Jalil, ein Moslem im Rentenalter, der während der Fahrt Knoblauchzehen kaut. Völlig überraschend erhält Sebastián ausgerechnet von diesem Kunden später das Angebot, ihn für viel Geld von Buenos Aires ins 3000 Kilometer entfernte La Paz in Bolivien zu seinem Bruder zu bringen. Das möchte Sebastián sich und seinem geliebten Auto unter keinen Umständen zumuten. Als Jazmín allerdings ihren Job verliert, ist das lukrative Angebot doch allzu verlockend.

Mit viel Gepäck und einem ambulanten Dialysegerät auf dem Autodach macht sich das ungleiche Duo auf die lange Reise. Zunächst fühlt sich Sebastián vom dem schwerkranken Alten nur genervt, da dieser im Auto ständig isst, jede Stunde auf Toilette muss, fünf Mal am Tag beten möchte und auf arabische Musik steht, statt auf Sebastiáns Lieblingsband Vox Dei. Als wenn das nicht schon genug wäre, lädt Jalil auch noch Hunde und fremde Menschen zum Mitfahren ein, ohne seinen Chauffeur zu fragen. Erst langsam nähern sich die beiden auf der langen und gefährlichen Fahrt an, auf der Sebastián so ziemlich alles verliert, was ihm bisher wichtig war. Stattdessen lernt er, die immateriellen Dinge zu schätzen und macht die Erfahrung, dass man das Leben auch aus einer ganz anderen Perspektive betrachten kann.

„CAMINO A LA PAZ ist eine Geschichte über die Begegnung zweier gegensätzlicher Menschen, zweier Kulturen und zweier Arten, auf dieser Welt zu leben. Eine Gelegenheit also, voneinander zu lernen.“ (Francisco Varone, Buenos Aires, Juni 2015)

„… Das Taxi als Topos der kleinsten territorialen Einheit erhält in CAMINO A LA PAZ eine unaufdringliche, plausible Variation. Unterschiedliche Lebensentwürfe begegnen sich hier kurzzeitig, intensiv und hinterlassen Spuren. In CAMINO A LA PAZ wird der Roadmovie zur Pilgerfahrt. Ein Buddy-Movie als Bildungsroman. Der Film überzeugt durch seine lakonische, genau beobachtete und warmherzige Erzählweise. Dem argentinischen Regisseur Francisco Varone gelingt es, der Reisebeschreibung eine spirituelle Dimension abzugewinnen, ohne dass er irgendwelchen dramaturgischen Klischees folgt. Fast beiläufig zeichnet er dabei auch das Bild eines Kontinents der, genau wie sein junger Held, offenbar nicht so recht weiß, wo es hingehen soll und wird.“ (Aus der Begründung der Jury für den Film den Monats Juni 2018)

„Durch seine unaufgeregte Erzählweise unterscheidet sich CAMINO A LA PAZ wohltuend von der aktuellen aggressiven Rhetorik, die das ‘Andere’ und ‘Fremde’ des Islam betont und auf Hass und Abgrenzung setzt. Der Film lässt keinen Zweifel daran, dass zum Frieden in pluralen Gesellschaften auch der Dialog der Religionen und Kulturen gehört.“ (Michael M. Kleinschmidt, Film im Fokus zu CAMINO A LA PAZ)

Die beiden Hauptfiguren des Films:

Als er noch jung war, spielte Jalil sogar aktiv Fußball. Doch nun hat er ein chronisches Nierenleiden, ist auf regelmäßige Dialyse angewiesen und muss ständig auf die Toilette. Mit der täglichen Einnahme von drei Knoblauchzehen hofft er dennoch, wie sein Vorbild aus der Kindheit in seiner Heimat Mendoza, 102 Jahre alt zu werden. Der gläubige Moslem ist Anhänger des Sufismus und alles andere als ein Radikaler. Wie jeder Moslem möchte er wenigstens einmal in seinem Leben eine Pilgerreise nach Mekka unternehmen. Nicht seine Frau, sondern sein Bruder, der in einem Altersheim in La Paz lebt, soll ihn dabei begleiten. Um trotz seiner Handicaps nach Bolivien zu kommen, braucht Jalil ein Auto und einen Chauffeur.

Diesen glaubt er in dem arbeits- und konfessionslosen Sebastián gefunden zu haben, der sich als Taxifahrer etwas Geld verdient. Er fährt zwar nur einen uralten Peugeot 505, ist unfreundlich und reichlich egoistisch. Aber er benötigt dringend das ihm angebotene Geld von Jalil, zumal seine frisch angetraute Frau Jazmín nicht wie erwartet befördert, sondern gekündigt worden ist. Außer seinem liebevoll gepflegten Auto und seinem Faible für die argentinische Rockband Vox Dei hat Sebastián keine großen Interessen oder Lebensziele. Seine Orientierungslosigkeit drückt sich unter anderem darin aus, dass er viel raucht. Auf der Reise wird er zwar nicht zu einem anderen Menschen, aber er lernt, Verantwortung zu übernehmen und findet sich selbst.

Würdigung und Kritik

Für sein Spielfilmdebüt hat der 1978 in Buenos Aires geborene Werbefilmer, Drehbuchschreiber und Regisseur Francisco Varone zwei der besten argentinischen Schauspieler gewonnen. Nach über 50 Bühnenrollen war es für den 72-jährigen Theaterschauspieler Ernesto „Flaco“ Suárez, der wie seine Filmfigur Jalil tatsächlich aus Mendoza stammt, die erste Kinorolle seines Lebens. Rodrigo de La Serna als Sebastián hingegen hat schon in mehreren argentinischen und nordamerikanischen international erfolgreichen Filmen mitgewirkt, insbesondere in THE MOTORCYCLE DIARIES (2004) von Walter Salles. Die beiden Hauptdarsteller in CAMINO A LA PAZ, ohne deren starke Leinwandpräsenz der Film nicht funktionieren würde, haben sich auf ein anstrengendes Projekt eingelassen. Denn der Film wurde chronologisch gedreht und die Reise tatsächlich von ihnen bewältigt. Ihre in den Gesichtern geschriebene Erschöpfung zum Ende des Films hin ist daher echt und nicht gespielt.

CAMINO A LA PAZ ist ein Road-Movie und ein Buddy-Movie. Denn alles auf der Reise dreht sich um zwei gegensätzliche Männer, die schließlich zu Freunden werden, wobei in erster Linie Sebastián neue Erfahrungen sammelt und am Ende der Reise zu sich selbst findet. Obwohl die Autofahrt in seinem alten Peugeot über eine Entfernung von 3000 Kilometern führt, spielt die Natur zunächst eine untergeordnete Rolle. Wie bei einem Kammerspiel wird die Enge des Kraftfahrzeugs dramaturgisch genutzt und durch die eher triste Farbgebung noch unterstützt. Gleichwohl spiegelt sich die Außenwelt unentwegt in den Autoscheiben. Je mehr die Protagonisten sich ihrem Ziel nähern, desto bunter und abwechslungsreicher wird dann die Landschaft.

Konsequent spart der Film viele Details der Handlung aus, die andere Filmemacher vielleicht genüsslich ausgespielt hätten. Auf diese Weise ist das aktivierte Vorstellungsvermögen des Zuschauers genauso gefordert, wie beim nicht etwa bebilderten Traum von Sebastián und den von Jalil erzählten Geschichten. Häufig wird eine Situation in Bild und Sprache nur skizziert und dann nach einem harten Schnitt das Ergebnis gezeigt. Die dorthin führenden Dialoge, eine unmittelbare Konfrontation oder gar Action bleiben ausgespart, etwa beim Überfall, bei der Hotelsuche ohne Bargeld oder bei der Weiterreise auf einem alten Pick-up, nachdem Sebastiáns Auto in den Fluten versunken ist.

Trotz der ruhigen Erzählweise nutzt die Kamera sämtliche Einstellungsgrößen, von der Überblick gebenden Totale über Halbnah-Einstellungen vor allem bei der Autofahrt bis zu Detailaufnahmen etwa einer Zigarette in Sebastiáns Hand, um seine Anspannung und innere Unruhe zu visualisieren. Das Auto wird zum tragenden Handlungsort. In diesen Szenen ist der Kamerablick fast immer nach hinten gerichtet auf das, was Sebastián im übertragenen Wortsinn hinter sich lässt. Ein Rückspiegel ist daher immer mit im Bild, während die Kamera die wechselnden Mitfahrer und die sich veränderten Beziehungen zwischen den beiden Männern dokumentiert. Zu Beginn der Reise sitzt Jalil im Fond des Autos, während Sebastián als Fahrer sich zunehmend an den Rand gedrängt fühlt. Schließlich wechselt Jalil auf den Beifahrersitz. Sebastiáns veränderte Perspektive drückt sich am Ende visuell darin aus, dass er selbst im Fond eines Autos sitzt – mit zuversichtlichem Blick nach vorne in die Zukunft.

Wie exakt der Film durchkonstruiert ist, lässt sich auch an der Cadrage, also dem Bildaufbau erkennen, in dem sich die verändernde Beziehungsstruktur zwischen Jalil und Sebastián ausdrückt. Zu Beginn sitzen sich Sebastián und Jalil als reine Geschäftspartner gegenüber, wobei das geteilte Fenster in der Bildmitte ihre Gegensätzlichkeit unterstreicht. Später sind sie – realistisch und gleichermaßen symbolisch überhöht – an einen Baum gefesselt, nahe beieinander, wenn auch in einer Zwangssituation, aus der sie sich nur dank des mitreisenden Hundes befreien können. Eine freiwillige echte Annährung erfolgt dann aber im Whirlpool des Hotelzimmers, wobei die Nacktheit ihre Offenheit und Verletzbarkeit unterstreicht und vertikale Bildelemente nicht mehr zwischen ihnen stehen, sondern sie einrahmen. Jegliche Distanz ist verschwunden, als Sebastián seinen Arm um Jalil legt und ihn aus der Klinik führt.

Bleibt noch die Musik zu erwähnen, die auch dramaturgisch genutzt wird und auf der Tonebene ebenfalls nachvollziehbar macht, wie sich Fremdheit und Distanz überwinden lassen. Zunächst stehen Sebastiáns Rockmusik von der Formation Vox Dei und die arabisch-orientalische Musik von Jalil kontrapunktisch zueinander. Es folgt Jalils Vorschlag, die beiden Musikstile, die zugleich auf unterschiedliche Kulturen und Religionen verweisen, abwechselnd zu spielen. Was die Musik von Vox Dei (wörtlich: Die Stimme Gottes) betrifft, so steht diese für eine stark säkularisierte Kultur, in der religiöse Verweise nur mehr in ironisch gebrochener Form erscheinen. Kaum hat sich Jalil im weiteren Verlauf der Reise an die Rockmusik gewöhnt, bietet Sebastián in einer Notlage seine CD-Sammlung mit den gesammelten Werken der Musikgruppe zum Tauschwert für die Hotelübernachtung an. Wenn am Ende bei der Rückfahrt seine Lieblingsmusik von Vox Die erneut zu hören ist, hat sich die Musik zwar nicht verändert, Sebastián aber dahingehend, dass er erwachsener geworden ist und auch die Musik nicht mehr oberflächlich konsumiert.

Themen und Hintergrundinformationen

Filme mit einer eindimensionalen klaren Botschaft wirken in der Regel flach oder gar missionarisch, wenn der Glaube und die Religionszugehörigkeit eine wichtige Rolle spielen wie in CAMINO A LA PAZ. Solche Fallstricke weiß der Film allerdings geschickt zu umgehen und verweist stattdessen auf eine spirituelle Dimension. Er lässt dem Zuschauer genauso wie seiner Hauptfigur am Ende die freie Wahl, wofür man sich entscheiden will – Hauptsache man hat etwas für das eigene Leben dazugelernt. Natürlich möchte der Film auch einen Gegenpol zur weit verbreiteten Islamophobie und Xenophobie bilden, die in Argentinien längst nicht so verbreitet sind wie in Europa, und aufzeigen, dass insbesondere die sufistische Auslegung des Korans, die von Jalil verkörpert und gelebt wird, eine universelle Komponente aufweist. Diese ist allen Religionen eigen, die an einen barmherzigen und liebenden Gott glauben. Man muss die Religion dennoch nicht notwendigerweise bemühen, um den Film zu verstehen. Dieser geht von zwei unterschiedlichen Arten zu leben aus, plädiert für gegenseitiges Verständnis und die Überwindung innerer Grenzen, begibt sich auf die intensive Suche nach innerem Frieden und nach Harmonie. Was für die Literatur der Entwicklungsroman, ist für das Medium Film das Road-Movie, wobei der Weg immer wichtiger als das Ziel selbst ist und in diesem Fall zur Initiationsreise wird.

Jalil als der weitaus ältere der beiden Männer hat natürlich mehr Lebenserfahrung als Sebastián und obendrein einen festen Glauben. Es ist aber nicht so, dass Jalil dadurch gleich zum väterlichen Mentor wird und selbst nichts dazulernen müsste. Er besitzt zwar ein sicheres Gespür dafür, dass ausgerechnet der offenbar mit sich selbst im Unreinen stehende junge Mann der richtige Chauffeur für ihn ist. Aber er weiß auch, dass er sich zurückhalten muss, nicht „mit der Tür ins Haus fallen“ darf und eigene Schritte unternehmen muss, damit eine gegenseitige Annäherung stattfinden kann. Im Grunde genommen ist es nicht nur er, der bei Sebastián einen heilsamen Prozess der Selbstreflexion einleitet, sondern mehr noch sind es die Menschen und Tiere, denen die beiden auf ihrer Reise begegnen. Das beginnt mit dem Hund, den Sebastián aus Unachtsamkeit anfährt und den er dann wenig liebevoll Mubarak nennt, nach dem ägyptischen Staatspräsidenten, der 30 Jahre lang an der Macht war, bis er infolge des Arabischen Frühlings 2010/11 zurücktreten musste. Es setzt sich fort mit Irma, die zwar kein Geld hat, um die Fahrt mit dem Bus zu bezahlen, aber das Herz am rechten Fleck. Und sie hat Verwandte, die Sebastián mit offenen Armen aufnehmen und ihn an ihrer ausgelassenen Feier teilnehmen lassen. Der entscheidende Wendepunkt tritt bei ihm ein, als er während der folgenden Übernachtung an einer sufistischen Gemeindefeier und Zeremonie teilnehmen darf, in der das geistliche Oberhaupt über die Faulheit referiert, „die uns an der Oberfläche treiben lässt“. Tanzende Derwische versetzen ihn in einen tranceähnlichen Zustand, in dem er einen Schwächeanfall bekommt. Von diesem Moment an ist Sebastián fast schon zu einem anderen Menschen geworden. Ohne dass ihm das bewusst wird, hat er nach sufistischer Stufen-Lehre bereits den Weg beschritten, der ihn näher zu Gott führt und ihm inneren Frieden schenken wird. Zuvor allerdings muss Sebastián noch seinen Egoismus überwinden und sich – nicht ohne die Unterstützung seiner Frau, die ihm das Geld zur Weiterreise leiht – von den beiden materiellen Dingen lossagen, die ihm bisher besonders wichtig im Leben gewesen sind. Infolge des Raubüberfalls, bei dem die Diebe neben dem Dialysegerät auch das gesamte Geld der beiden erbeuteten, opfert er zuerst die CD-Sammlung mit seiner Lieblingsband und verliert anschließend auch das geliebte Auto, das er von seinem Vater geerbt hat. Erst danach ist er offen und wirklich frei für die Begegnung mit anderen Menschen. Dies betrifft zunächst insbesondere Jalil, um den er sich wie ein Sohn kümmert. Aber er wird sich auch seiner Verantwortung für sich selbst und seine Freundin bewusst.

Zum Glück für den Film geht es dem Regisseur nicht um Propaganda für den Sufismus und seine Lehren, sondern um spirituelle Einsichten und Erfahrungen, sowie die riesige Chance, etwas von anderen Kulturen und Religionen zu lernen. Das wird unmissverständlich klar, als Jalil ihm als Geschenk anbietet, Muslim zu werden, „einen Weg zu gehen, den du, ohne es zu wissen, schon begonnen hast.“ Verwirrt lässt sich Sebastián zunächst auf das uneigennützige Angebot ein, bis er nach kurzer Überlegung sagt: „ Es tut mir leid, Jalil. Ich will Ihnen nichts vormachen, ich kann das nicht. Tut mir leid.“ Mit diesen Worten gelingt es Sebastián, sich selbst treu zu bleiben, nicht fremdgesteuert zu „konvertieren“ und dennoch ist er im Sinne der sufistischen Glaubenslehre auf dem „richtigen“ Weg. Darauf verweist nicht zuletzt der Filmtitel in seiner doppelten Bedeutung, nämlich auf dem Weg nach La Paz zugleich den Weg zum (inneren) Frieden gefunden zu haben.

Am Ende fasst Jalil mit seiner Geschichte über den Bergsteiger, der sich im Seil verhedderte und mangels seines Gottvertrauens nur zwei Meter über dem Boden erfroren ist, noch einmal zusammen. Sebastián hat auf der Reise viel gelernt und wird darum seinen Albtraum über den Sturz in den Abgrund, der ihn zehn Jahre lang gequält hatte, nie mehr träumen.

Didaktische Hinweise

Anknüpfungspunkte des Films für den Unterricht bieten sich im Rahmen der Sekundarstufe II in den Fächern Religion (christlich und islamisch) sowie in Ethik, aber auch in Deutsch (Erzählstrukturen, „Bildungsroman“), Sozialkunde (Lebensbedingungen in Lateinamerika), Geografie (‚Argentinien und Bolivien) und aufgrund des Originals mit Untertiteln in Fremdsprache Spanisch. Form und Inhalt hängen bei jedem Film miteinander zusammen. Da dieser Film ganz unspektakulär erzählt und zugleich sehr klar strukturiert ist, bietet er sich auch für den Kunst und Medienunterricht an, zumal man über den Umgang mit filmsprachlichen Mittel unweigerlich auch zu den angesprochenen Themen kommen wird. Im außerschulischen Bereich lässt sich der Film sehr gut in kirchlichen und (sozial-)politisch engagierten Bildungseinrichtungen einsetzen.

Es macht Sinn, insbesondere ein jüngeres Publikum bereits vor dem Film darauf hinzuweisen, dass er in seiner Erzählstruktur und in seinem Tempo nicht den hierzulande vorherrschenden Sehgewohnheiten entspricht und man sich daher erst auf die Bilder einlassen muss, was eine Weile dauern kann. Zu viele Vorabinformationen sind dem Film und seiner Rezeption allerdings eher abträglich. Schließlich hat jeder Zuschauer das Recht, einen Film selbst zu erkunden und sich eigene Gedanken dazu zu machen, bevor man in Gedankenaustausch mit anderen tritt. Gerade bei CAMINO A LA PAZ ist das als einem „filmischen Bildungsroman“ von besonderer Bedeutung, denn wenn das, was die Hauptfigur im Verlauf der Reise erst lernt, gleich vorweggenommen wird, kann man sich theoretisch den Film fast sparen, der dann nur noch der Bestätigung oder Widerlegung einer Interpretation dienlich wäre.

Anders verhält es sich mit allgemeinen Informationen zur Produktion, zu den Darstellern und zur Rockband Vox Dei, die einigen auch hierzulande bekannt sein dürfte. Und da allein schon durch die Inhaltsangabe bekannt ist, dass es im Film um die Begegnung zwischen zwei Lebensentwürfen und mit anderen Religionen und Kulturen geht, können kurze Hinweise über Moslems in Argentinien nicht schaden. Die Auseinandersetzung mit der von Jalil vertretenen sufistischen Lehre sollte dagegen erst nach Filmsichtung erfolgen.

Mögliche (erste) Impulsfragen (nicht chronologisch zu verstehen):

  • Welchen ersten Eindruck haben Jalil und Sebastián hinterlassen? Lässt sich nachvollziehen, dass Jalil ausgerechnet von Sebastián gefahren werden möchte?
  • Der Buddy-Film erzählt die Geschichte zweier Männer. Wo bleiben die Frauen und welche Funktion haben sie im Film?
  • Warum raucht Sebastián so viel und warum kaut Jalil ständig Knoblauchzehen?
  • Welche Erfahrungen macht Sebastián im Verlauf der Reise? Was lernt er?
  • Muss man erst alles Materielle hinter sich lassen, um zum inneren Frieden zu finden?
  • Wie wurde die Szene empfunden, in der Jalil Sebastián zum Islam bekehren will? Warum macht er das?
  • Aus welchen Gründen erzählt Jalil am Ende des Films die (teilweise sicher bekannte) Geschichte des Bergsteigers, der am Seil erfroren ist? Wie lässt sich diese Geschichte im Zusammenhang des Films interpretieren?
  • Vieles von dem, was auf der Reise passiert und auch angedeutet wird, ist aber nicht im Film zu sehen. Wie wirkte das und warum erzählt der Film seine Geschichte auf diese ungewöhnliche Weise?
  • Wird der Islam in diesem Film zu positiv dargestellt? Geht es denn hauptsächlich um den Islam und den Sufismus?

Literatur- und Links

  • Titus Burckhardt: Sufismus – Einführung in eine Sprache der Mystik, Chalice Verlag, erweiterte, durchgesehene Neuausgabe 2018
  • André Al Habib: Sufismus – Das mystische Herz des Islam, Verlag Hans-Jürgen Maurer 2014
  • Peter W. Schulze, Thomas Koebner, Fabienne Liptay (Hrsg.): Junges Kino in Lateinamerika (Film-Konzepte 18), edition text + kritik 2010

Links:

http://www.im-film.de
Website des Kinoverleihs

Filmbesprechungen
https://www.epd-film.de/filmkritiken/camino-la-paz
https://www.filmdienst.de/film/details/561529/camino-a-la-paz
http://www.filmstarts.de/kritiken/241995.html
https://www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/camino-a-la-paz
https://www.film-rezensionen.de/2018/06/camino-a-la-paz/
https://www.programmkino.de/content/Filmkritiken/camino-a-la-paz/
http://www.michaelkleinschmidt.de/mmk/publikationen/camino-a-la-paz_fif.pdf

Islam und Sufismus (siehe auch Glossar)
https://www.islamische-zeitung.de/zwischen-pampa-und-buenos-aires/
https://www.nzz.ch/muslime_im_lande_der_gauchos-1.1293315
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2017-01/sufismus-islam-mystik-fundamentalismus
https://www.sueddeutsche.de/kultur/islamische-mystik-warum-der-sufismus-gar-nicht-so-friedlich-ist-1.3109023
https://www.orientierung-m.de/muslime/minikurs/sufismus-islamische-mystik/

Filmhinweise

Taxi – eine Nacht in Buenos Aires
Spielfilm, Argentinien 2001, 93 Min., OmU
Regie: Gabriela David
Bezug DVD: EZEF

Am seidenen Faden (OT: By a Thread)
Kurzspielfilm, Spanien 2005, 9 Min.
Regie: Juan Carlos Romera
https://material.rpi-virtuell.de/material/arbeitshilfen-zum-film-am-seidenen-faden/
Bezug DVD: www.filmwerk.de

The Motorcycle Diaries - Die Reise des jungen Che
Spielfilm, USA, Argentinien, Brasilien, Peru, Chile 2004, 126 Min.
Regie: Walter Salles

GLOSSAR

Argentinien
Argentinien ist mit einer Fläche von knapp 2,8 Mio. km² der achtgrößte Staat der Erde und der zweitgrößte von Südamerika. Er grenzt im Norden an Bolivien, im Nordosten an Paraguay, im Osten an Brasilien und Uruguay und im Westen an Chile. Etwa ein Drittel der rund 43 Millionen Einwohner lebt im Ballungsraum der Hauptstadt Buenos Aires. Die Provinz Mendoza, aus der Jalil stammt, liegt im zentralen Westen von Argentinien und ist die größte Weinbauregion des Landes. Etwa 76,5 Prozent der Bevölkerung sind römisch-katholischen Glaubens, neun Prozent Protestanten. Argentinien ist heute die Heimat einer der größten muslimischen Gemeinschaften Lateinamerikas. Viele von ihnen kamen zwischen dem späten 19. und dem frühen 20. Jahrhundert aus dem Nahen Osten, namentlich aus Syrien und dem Libanon ins Land. Derzeit leben dort relativ konstant über die Jahrzehnte hinweg rund 400.000 bis 500.000 Muslime, vor allem an der Südwestspitze Lateinamerikas. Im Gegensatz zu Europa und den Vereinigten Staaten war es für Muslime hier oft einfacher, ihren Traditionen ohne Diskriminierung zu folgen. Ein Grund, warum bei vielen gebürtigen Muslimen und ihren Nachkommen die Bindung an ihre religiöse Herkunft schwindet, liegt darin, dass die Vermittlung von islamischer Lehre, Praxis und Selbstverständnis an das Arabische gebunden ist, das in Argentinien nicht sehr verbreitet ist.
Quellen: https://de.wikipedia.org/wiki/Argentinien
https://www.islamische-zeitung.de/zwischen-pampa-und-buenos-aires/

Bolivien und La Paz
La Paz ist die Hauptstadt des Departamento La Paz und der Regierungssitz Boliviens. Mit einer Höhenlage von 3200 bis 4100 m ist sie der weltweit höchstgelegene Regierungssitz. Der volle Name der Stadt lautete zunächst Nuestra Señora de La Paz („Unsere Liebe Frau des Friedens“) wegen eines verhinderten Aufstands der indigenen Ureinwohner. Ihren heutigen Namen erhielt sie 1825 zum Gedenken an die siegreiche Schlacht bei Ayacucho im Unabhängigkeitskrieg gegen die Spanier. La Paz ist die drittgrößte Stadt Boliviens, nach der Millionenstadt Santa Cruz (1.453.549 Einwohner) im Tiefland und der Nachbarstadt El Alto (848.840 Einwohner). Sie ist mit Bonn in Deutschland in einer Städtepartnerschaft verbunden.
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/La_Paz

Dhikr
Im islamischen Kulturkreis bedeutet Dhikr eine meditative Übung zur Vergegenwärtigung Gottes. Besonders im Sufismus wird diese meditative Übung intensiv von Sufis bzw. Derwischen vollzogen. Dhikr ist nicht zu verwechseln mit der Salāt, dem fünfmal am Tag zu erfüllenden rituellen Gebet, das mit vorgeschriebenen Körperbewegungen verbunden ist.

Haddsch-Pilgerreise
Der Haddsch ist die islamische Pilgerfahrt nach Mekka. Er ist neben der Schahāda (islamisches Glaubensbekenntnis), der Salāt (Pflichtgebet), der Zakāt (Almosengabe) und dem Saum (Fasten im Ramadan) die fünfte Säule der fünf Säulen des Islam und findet jährlich während des Monats Dhu l-Hiddscha statt, dem zwölften und letzten Monat im Jahreskreislauf des islamischen Kalenders. Die große Pilgerfahrt, der Haddsch, kann nur während bestimmter Tage im Jahr (8. bis 12. Dhu l-Hiddscha) durchgeführt werden; die kleine Pilgerfahrt Umra dagegen zu jeder beliebigen Zeit. Jeder freie, volljährige und gesunde Muslim unabhängig vom Geschlecht ist verpflichtet, einmal im Leben nach Mekka zu pilgern. Die Pilgerfahrt ist im Koran als religiöse Pflicht verankert, vorausgesetzt allerdings, dass man dazu eine Möglichkeit findet und es sich leisten kann. Selbst ein begonnener Haddsch zählt bereits als religiöse Pflichterfüllung, oder wie es Jalil im Film ausdrückt: „Für Allah zählen allein die Absicht und die Reinheit des Herzens. Wäre ich 500 Meter von meinem Haus gestorben, wäre meine Pilgerreise vollständig.“
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Haddsch

Sufismus
Sufismus ist eine Sammelbezeichnung für ganz verschiedene Strömungen im Islam, die asketische Tendenzen und eine spirituelle Orientierung aufweisen, die oft mit dem Begriff Mystik umschrieben wird. Das Wort Sufismus wird in Europa erst seit dem 19. Jahrhundert verwendet, obwohl es Sufis und Derwische (eine Art Torhüter) auf ihrem Weg über die Stufen der Erkenntnis bereits seit dem 8. Jahrhundert unserer Zeitrechnung gibt. Das oberste Ziel der Sufis ist, Gott so nahe zu kommen wie nur möglich. Die eigenen Wünsche müssen dabei hinter sich gelassen werden. Der Weg führt über vier aufeinander folgende Stufen: Auslöschen der sinnlichen Wahrnehmung, Aufgabe des Verhaftetseins an individuelle Eigenschaften, Sterben des Ego und Auflösung in das göttliche Prinzip. Kern des Sufismus ist die innere Beziehung zwischen dem „Liebenden“ (Sufi) und dem „Geliebten“ (Gott). Durch die Liebe zu Gott wird der Sufi zu Gott geführt, wobei der Suchende danach strebt, die Wahrheit schon in diesem Leben zu erfahren und nicht erst auf das Jenseits zu warten. Sufismus bedeutet zugleich, nichts zu besitzen und von nichts besessen zu werden, da alle Dinge von Gott kommen. Ein wichtiger Bestandteil des Sufismus sind die Lehrgeschichten, die sich in drei verschiedene Kategorien unterscheiden lassen: Geschichten, die sich mit dem Verhältnis des einzelnen zu sich selbst und seiner individuellen Entwicklung befassen, Geschichten, die das Verhältnis zur Gesellschaft und zu anderen Menschen behandeln, Geschichten, die sich mit der Beziehung zu Gott befassen.
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Sufismus

Vox Dei
Vox Dei (= Gottes Stimme) ist eine 1967 gegründete argentinische Rockband, die in wechselnder Besetzung spielte und als Gruppe bis heute existiert. In den 1970er-Jahren feierte die Band ihre größten Erfolge. Bisher entstanden mehr als ein Dutzend Studioalben und sechs Live-Alben, darunter „La Biblia –The Bible“ (1971) und „El Camino – The Road“ (2005). Der musikalische Stil der Band änderte sich mehrfach und umfasst Hardrock, Progressive Rock, Psychedelic Rock und Bluesrock.
Quelle: https://en.wikipedia.org/wiki/Vox_Dei

Januar 2019
Autor Booklet: Holger Twele
Redaktion: Bernd Wolpert