Arbeitshilfe

Reise zwischen zwei Welten

A Miner's Tale
Dokumentarfilm von Nico Hofmeyr und Gabriel Mondlane
Mosambik, Südafrika 2001, 40 Minuten, Voice over und OmU

Inhalt
Joaquim ist einer der zahlreichen Wanderarbeiter aus Mosambik, der in den südafrikanischen Goldminen Beschäftigung gefunden hat. Zusammen mit seiner Zweitfrau (sprich Nebenfrau) Maria und deren Kindern lebt er in einer der Barackensiedlungen nahe der Mine. Nur alle paar Jahre kann er sich eine Reise nach Hause leisten. Seine Ehefrau Rosita lebt mit den gemeinsamen Kindern in einem kleinen Dorf in Mozambik. Bittere Armut und Arbeitslosigkeit in seiner Heimat haben ihn damals veranlasst, ins Nachbarland auszuwandern und sein Glück dort zu versuchen. Ob er jemals zurückkehren wird, ist ungewiss, denn er hat sich an das Leben in zwei Welten gewöhnt – im modernen, städtischen Südafrika und im ländlichen mosambikanischen Dorf.
Doch jetzt bereitet Joaquim seine Heimreise vor. Gemeinsam mit Maria kauft er Geschenke für seine Ehefrau und allerlei nützliche Dinge für den Haushalt ein. Allerdings ist er unsicher, ob sein Entschluss richtig ist. Vor geraumer Zeit wurde bei ihm bei einer Routineuntersuchung der HI-Virus festgestellt. Bis jetzt hatte er nicht den Mut, seine Familie über seine Krankheit aufzuklären. Obwohl er fühlt, dass er ihnen die Wahrheit schuldet, fürchtet er deren Reaktionen. Werden sie die Tragweite seiner Krankheit verstehen, werden sie ihn ignorieren, verfluchen oder gar fortjagen?
Nach einer langen und beschwerlichen Busfahrt und langwierigen Grenzformalitäten kommt er schließlich in seinem Dorf an, wo er herzlich empfangen wird. Bevor Joaquim seine Mitbringsel in die Hütte seiner Frau stellen darf, muss er verschiedene Zeremonien über sich ergehen lassen. Das eigentliche Wiedersehen mit seiner Ehefrau Rosita ist geprägt durch Freude einerseits und Vorwürfen andererseits. Wieso hat er nie geschrieben, weshalb sich nie um ihren gemeinsamen Sohn Mika gekümmert, der nicht verstehen kann, weshalb sein Vater nun plötzlich auftaucht.
Dann ist der Zeitpunkt gekommen, wo Joaquim Rosita von seiner drohenden Krankheit erzählt. Wie befürchtet versteht sie nicht ganz, was er eigentlich meint, zu fremd sind ihr diese Geschichten. Sie schickt ihn zum Sangoma (Medizinmann). Dieser rät ihm denn auch, eine Ziege zu opfern und die bösen Geister zu vertreiben. Daraufhin spricht Joaquim mit seinem Onkel, der nicht akzeptieren kann, dass Joaquim seine Frau vor einer Ansteckung schützen will. Er ist unnachgiebig: Joaquim müsse seiner traditionellen Verpflichtung nachkommen und seiner Frau noch mehr Kinder schenken. Lange habe Rosita auf diese Gelegenheit warten müssen. Joaquim ist nach wie vor ratlos, wie er seine Frau vor dem Tod beschützen könne.

Zwar sagt er Rosita, dass sie von nun an getrennt schlafen und beim Geschlechtsverkehr ein Kondom benutzen müssten, sonst würden sie beide sterben. Aber letztlich sind beide von der Situation überfordert, die Gegensätze zwischen ihren beiden Welten scheinen unüberbrückbar. So verlässt er das Dorf und seine Familie ohne sich versöhnt zu haben und kehrt zurück zu seiner Arbeit in der Mine und zu Maria. Sein Wunsch, nach seiner Pensionierung in seiner Heimat sterben zu dürfen aber bleibt. Seiner Nebenfrau muss er erst mal eröffnen, dass er HIV-positiv ist ...

Zum Film
Der Titel «Reise zwischen zwei Welten» trifft den Kern des Films: Der Minenarbeiter Joaquim befindet sich auf einer Reise nicht nur zwischen dem modernen Leben eines Minenarbeiters und dem traditionellen bäuerlichen Dasein in Mozambik, er reist hin und her zwischen seiner Freundin und seiner Ehefrau, zwischen Krankheit und Gesundheit, zwischen seiner Verantwortung als HIV-Positiver und den Anforderungen einer traditionellen Gesellschaft an ihn als Mann, zwischen Leben und Tod, «Reichtum» und Armut. Er ist ein Grenzgänger im weitesten Sinn und verkörpert stellvertretend für viele Afrikaner/innen die unglaubliche Zerrissenheit vieler Menschen dort. Die bereits bestehenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme werden durch die neue Geißel AIDS nochmals zugespitzt. Umso schwieriger wird es für Leute wie Joaquim, mit diesen Problemen umzugehen und sich der neuen Herausforderung zu stellen.
Klar wird, dass die Betreuung und Pflege von AIDS-PatientInnen nur sehr rudimentär erfolgen kann und dass in erster Linie durch Prävention ein weiteres Ausbreiten von AIDS verhindert werden muss. Ob dies gelingen wird hängt nicht zuletzt davon ab, wie weit Menschen in Afrika fähig und bereit sind, Traditionen und Gewohnheiten der heutigen Situation und den aktuellen Bedürfnissen anzupassen. Auch die Sangomas (Medizinmänner und Frauen) werden davon nicht ausgenommen bleiben. Vorstellungen über Fruchtbarkeit, Aberglauben etc. müssen dringend hinterfragt werden, selbst auf die Gefahr hin, dass ein Stück Kultur verloren geht.
Der Film macht aber auch deutlich, dass AIDS-Prävention beileibe kein rein afrikanisches Problem ist. Wenn es im aufgeklärten modernen Europa nicht einmal gelingt, Männer und Frauen von ungeschütztem Sex mit fremden Partner/innen abzuhalten ist, wie sollte es dann in Ländern wie Südafrika oder Mozambik einfach funktionieren. Damit wirft uns der Film auch auf unser eigenes Sexualverhalten zurück. Dass dabei sehr persönliche und intime Fragen gestreift werden, versteht sich von selbst, macht aber die Arbeit mit dem Film umso anspruchsvoller. Will heißen: eine gründliche Vorbereitung ist unabdingbar.
Wohltuend im Film ist die konsequent durchgezogene Schiene der Direktaussagen von Betroffenen ohne zusätzlichen Kommentar. Die sorgfältigen Einstellungen werden diskret untermalt durch Musik und erlauben es den Betrachter/innen, hinzuhören und hinzuschauen, nicht voyeuristisch, sondern verständnisvoll. Heikle Themen wie AIDS, Prävention und Sexualverhalten werden im Film direkt angesprochen und beim Namen genannt. Diese Offenheit ist wohltuend und regt an, sich auf die komplexe Thematik einzulassen. Dabei darf etwas nicht vergessen gehen: sich ganz einfach auf der menschlichen Ebene von Joaquim, Maria und Rosita berühren zu lassen. Die Würde, mit der die ProtagonistInnen ihr Schicksal tragen, machen das schwere Thema etwas erträglicher und den Film trotz allem zu einem Hoffnungsträger.

Hintergründe
AIDS in Afrika
„Die Immunschwächekrankheit AIDS wird ohne aktives Handeln weite Teile Afrikas südlich der Sahara gesellschaftlich, politisch und wirtschaftlich in noch aussichtslosere Situationen bringen und künftige Generationen in katastrophalem Ausmaße hinter die Entwicklung anderer Weltteile weiter zurückzuwerfen. Nach neueren Schätzungen sind insbesondere in Botswana, Mozambik, Ruanda, Sambia, Südafrika, Malawi, Namibia, Zimbabwe und Kenia große Teile der Bevölkerung bereits verstorben, erkrankt oder infiziert. Während der Herzinfarkt in Europa zur Todesursache Nr. 1 geworden ist, hat AIDS diese Position in Schwarzafrika erlangt!
Die Bedrohung, dass ganze Generationen von Menschen sterben, nimmt zu. Millionen von Menschen sind bereits an AIDS gestorben. Frauen verloren ihre Ehemänner, Männer ihre Ehefrauen, Eltern ihre Kinder und Kinder ihre Eltern – Witwen, Waisen und auf sich allein gestellte Ältere blieben zurück. Auf absehbare Zeit, solange es keine bezahlbaren und heilenden Medikamente oder Impfstoffe gibt oder der politische/wirtschaftliche Wille zu einer kostenfreien Überlassung bislang erkannter Wirkstoffe sich nicht durchgesetzt hat, wird die Prävention vor AIDS durch Aufklärung über die Infektionswege am besten schützen.
Die genaue Anzahl der weltweit mit dem HI-Virus infizierten Menschen ist nicht bekannt. Schätzungen des AIDS-Programms der Vereinten Nationen, UNAIDS, belaufen sich auf mehr als 40 Millionen Träger des HI-Virus (Kinder und Erwachsene) weltweit. Von diesen leben etwa 28 Millionen (Schätzung 12/2001) auf dem afrikanischen Kontinent. (...) Jedes Jahr stecken sich erneut unzählige Menschen an – mehr als 3 Millionen Afrikanerinnen und Afrikaner waren es nach jüngsten Schätzungen allein im Jahr 2001.
Die Gründe für die Verbreitung sind die Lebensbedingungen und mangelhafte Hygiene in der privaten Versorgung wie im medizinischen Alltag, wechselnde Sexualpartner und die Übertragung bei der Geburt. Besonders aber Unterentwicklung und Analphabetentum, wie auch die Stigmatisierung – das Verschweigen, die Diskriminierung – und mangelndes Wissen über Ansteckungswege und Schutzmöglichkeiten tragen zur weiteren Übertragung des Virus bei.
(...) Denn immer noch wird von manchem geglaubt, dass der Virus nicht etwa durch Blut oder Sperma übertragen, sondern durch „Hexerei“ hervorgerufen werde. (...) Gerade Frauen sind häufig persönlich betroffen, sei es, dass Sie von Männern mit dem Virus infiziert wurden oder dass sie durch deren Tod von Familienmitgliedern zu einem eigenen kleinen Business verpflichtet werden, um sich und ihre Kinder wirtschaftlich zu versorgen.“
(aus einem Artikel von David Kiddie/Kenia)

Mozambik: Die Ernte ist verdorrt, der Hunger droht
„Nach den schweren Überschwemmungen in den Jahren 2000 und 2001 sehen sich die Menschen in Mozambik einer neuen Katastrophe gegenüber: Dürre und Hunger. Laut offiziellen Angaben leiden 515.000 Menschen in Mozambik unter schwerem Hunger. Der Hunger verschlimmert die schon vorhandenen epidemischen und endemischen Krankheiten wie HIV/AIDS, Malaria und Cholera. Diese sind die Hauptursachen für die Todesfälle in Mozambik. Die Lebenserwartung liegt unter 40 Jahren. Ausgelöst wurde die Katastrophe durch die schlechte letzte Ernte. Eine schwere Dürre suchte die Menschen in den südlichen und zentralen Regionen des Landes gerade zu dem Zeitpunkt heim, als die Aussaat in voller Blüte stand und unbedingt Wasser benötigte. Der Ernteausfall beim Getreide (Weizen, Mais, Mapira, Reis) beläuft sich auf rund 200´000 Tonnen. Der Mangel an Lebensmitteln und Wasser verschärft die sowieso schon schlimme Ernährungskrise im Land. Rund 35 Prozent der mosambikanischen Bevölkerung leiden unter chronischer Unterernährung. (...)
Die anhaltende Ernährungsunsicherheit ist ein Problem, das praktisch die gesamte Region des südlichen Afrika betrifft: Angola, Namibia, Botswana, Südafrika, Lesotho, Swasiland, Zimbabwe, Sambia, Malawi und Mozambik. Umso schlimmer hat die Menschen die jetzige Trockenperiode getroffen. Nach Schätzungen des UNO-Ernährungsprogramms World Food Programm (WFP) und der Food and Agricultural Organisation (FAO) können 12.8 Millionen Menschen ihre Ernährung nicht sichern. Das sind 22 Prozent der gesamten Bevölkerung dieser Länder. In Mozambiks Nachbarländern Simbabwe, Sambia und Malawi ist die Situation besonders katastrophal ...“.
(aus einem Artikel von Jorge Lampião, Koordinator des Schweizerischen Arbeiterhilfswerkes SAH-Landesprogramms in Mozambik)

Zum Einsatz des Films
Eignung: Der Film dürfte sich angesichts der heiklen Themen am ehesten für die gezielte Arbeit in interessierten Gruppen in Entwicklungspolitik, Kirche, Seminaren, Hochschul- und Erwachsenenbildung etc. eignen. Für den Einsatz in Schulen der oberen Stufen ist zu beachten, dass genügend Zeit für das Aufarbeiten des komplexen Themas eingeräumt wird. Nur dann besteht Gewähr, dass sich die Teilnehmer/innen darauf einlassen, recherchieren und diskutieren können. Zusatzinformationen sind unabdingbar, will man das Gesehene einigermaßen im afrikanischen Kontext verstehen. Eine große Hilfe dafür bietet einerseits das Internet, andererseits aber auch direkte Begegnungen mit Leuten aus der Entwicklungszusammenarbeit oder Afrikaner/innen aus den betroffenen Ländern.
Themen: Wanderarbeit, Armut, Leben auf dem Land, AIDS-Prävention, Sexualität, Südafrika/
Mozambik, afrikanische Gesellschaft zwischen Tradition und Moderne, Rollenverteilung im südlichen Afrika, Arbeit/Ausbeutung, Solidarität, Globalisierung ...

Didaktische Hinweise
Das Leben der Wanderarbeiter in Südafrika
Der Film versetzt die Teilnehmer/innen in eine völlig andere Welt. Als Einstieg könnte man versuchen, die eigenen Bilder und Vorstellungen zum Thema abzurufen und sich so auf den Film einzustimmen:

  • Vor dem Betrachten assoziieren lassen, was wir unter einem Wanderarbeiter verstehen; dazu den Teilnehmer/innen zehn Fragen stellen, z.B. wie er lebt, arbeitet, was er verdient, wie er seine Freizeit gestaltet, was seine hauptsächlichen Probleme sind, wie sein Familienleben aussieht, was seine sehnlichsten Träume sind ... Die Fragen stichwortartig auf einem Zettel beantworten lassen. Nach dem Film die Fragen einzeln durchgehen, Assoziationen und Gesehenes in Relation bringen und diskutieren. Offene Fragen können anschließend gesammelt und das weitere Vorgehen (zum Beispiel das Recherchieren von Zusatzinformationen) festgelegt werden.
  • Zum Vergleich kann der Alltag eines Wanderarbeiters aus unserem Erfahrungsbereich herangezogen werden (zum Beispiel Arbeitskräfte aus der Türkei, Portugal ...). Interessant könnte auch die Frage sein, weshalb deutsche Bauern und Bäuerinnen beispielsweise nach Kanada auswandern.
  • Die Suche nach einem besseren Leben, nach «Lebensglück» ist nicht nur für Menschen wie Joaquim das Lebensziel überhaupt. Überlegen, was Joaquim alles dafür tut, welche Hindernisse sich ihm dabei in den Weg stellen, wieweit sein Bestreben zum Erfolg führt. Die eigene Suche nach einem besseren Leben daneben stellen und hinterfragen.
  • Zusammentragen, welche Vorteile Joaquim in seinem Leben als Minenarbeiter und in seinem Leben im Dorf sieht. Was macht ihm Mühe bei seiner Reise zwischen den Welten?
  • Die Gegensätze zwischen Stadt und Land bei uns analysieren und diskutieren.

Historische und wirtschaftliche Zusammenhänge von AIDS
Die grosse Verbreitung von AIDS im südlichen Afrika hat einerseits historische Gründe: in den Regionen, die stark von Wanderarbeit oder dem Transitverkehr geprägt sind, ist die Infektionsrate besonders hoch. Mozambik hat auch noch lange keine volle Entschädigung für seine solidarische Unterstützung des Anti-Apartheidkampfes in Südafrika bekommen, und auch keine für 500-jährige Kolonialausbeutung. Das Menschenrecht auf Gesundheit kann nur realisiert werden, wenn mehr Geld für das Gesundheitswesen zur Verfügung steht. Der Mindestbetrag laut WHO beträgt 30-40 US$ pro Person/Jahr. Aber selbst ein kompletter Schuldenerlass würden nicht zur Deckung der jährlichen Ausgaben reichen. Erhebliche internationale Zuschüsse für den Aufbau der gesundheitlichen Versorgung sind notwendig.
Die wirtschaftlichen Zusammenhänge sind ebenso verhängnisvoll: Der Mann ist im familiären Kontext derjenige, der für das Erwirtschaften des Geldes zuständig ist. Wenn dieser Mann, vom HI-Virus angesteckt, krank wird und stirbt, fehlt der Familie der Ernährer, was konsequenterweise in die Armut führt. Auf der Suche nach Überlebensmöglichkeiten strömen die Mütter (Witwen) als auch die Töchter (Waisen) in die Stadt. Da bei einer Analphabetenquote von über 80 Prozent die meisten keinen Zugang zu den wenigen Arbeitsstellen haben, lassen sich viel aus finanziellen Gründen auf prostitutionsähnliche Sexualpraktiken ein, um sich und ihre Kinder zu unterhalten. Der Gebrauch von Präservativen aber widerspricht den kulturellen Prinzipien und kostet Geld, damit erhöht sich die Ansteckungsgefahr nochmals.
Für das Verständnis von Joaquims Lebenssituation ist das Wissen um diese Hintergründe und Probleme im südlichen Afrika entscheidend. Die Teilnehmer/innen sollten sich dazu entsprechend Gedanken machen:

  • Persönliche Einschätzungen der aktuellen Situation austauschen.
  • Im Internet recherchieren, wie die geschichtlichen Hintergründe im südlichen Afrika sich darstellen und wie es mit der Verschuldung von Ländern wie Mozambik aussieht.
  • Die Gründe für die Armut im südlichen Afrika recherchieren und zusammentragen. Dabei kann man sich auf den kurzen Artikel unter «Hintergründe» stützen oder sich anhand der Internetadressen weiter hinten schlau machen.

AIDS in Afrika – ein Tabu
In der westliche Welt haben Aufklärungskampagnen die Ausbreitung von AIDS eingedämmt. Afrika hingegen droht durch das tückische Virus ein weiterer Rückschlag bei seinen Entwicklungsbemühungen, weil die Krankheit noch immer tabuisiert wird. Als AIDS in den achtziger Jahren aufkam, wurde es in Afrika von vielen Schwarzen als Krankheit des weißen Mannes abgetan. Nun werden die Symptome nach traditionellen Vorstellungen interpretiert. Die Menschen glauben, die Infizierten seien Sünder und deshalb aus Strafe verhext oder vergiftet worden. Wer über das Virus spricht, riskiert, das Unglück herbeizureden. Aufklärungsarbeit wird damit praktisch unmöglich. AIDS ist in Afrika aber nicht nur ein Tabu, sondern auch ein Symptom der Armut. Die teuren Medikamente, die in Amerika und Europa das Fortschreiten der Krankheit verzögern helfen, sind in der Dritten Welt unerschwinglich. In den ländlichen Krankenhäusern von Durban/SA zum Beispiel können die Ärzte nur hilflos zusehen, wie ihre Patienten elend zugrunde gehen.

  • Nachdenken, weshalb in vielen Ländern Afrikas AIDS und eine offene Diskussion darüber nach wie vor tabuisiert wird?
  • Tabus in unserer eigenen Gesellschaft orten und werten. Beispiele für Tabus suchen, die sich im Lauf der Zeit bei uns gewandelt haben; Gründe dafür aufzählen.
  • Überlegen, unter welchen Voraussetzungen eine offene Diskussion und damit eine wirksame Prävention gegen AIDS in Afrika möglich würde?

Traditionen versus AIDS-Aufklärung
Afrikanische Traditionen sind mitverantwortlich für die Ausbreitung von AIDS, z.B. das Sexualverhalten, Polygamie, Promiskuität, Fruchtbarkeitsglaube, Familienstrukturen etc. Zudem findet in der traditionellen Medizin ein Vertrauensverlust statt. Die Tatsache, dass AIDS bis heute nicht heilbar ist, führt zu einem Vertrauensverlust in die traditionelle Heilkunst. Zwar können Heiler/innen in vielen Fällen zu einer Linderung der Symptome beitragen, jedoch müssen sie letztlich versagen. Dies führt zu einem Verlust traditioneller Identität, da sich die traditionelle Heilkunst ja nicht auf die rein körperliche Gesundheit und die Heilungsebene beschränkt, sondern die seelische/spirituelle mit einbezieht. Auf diese Weise verlieren die traditionelle Medizin und auch die Heiler/innen ihre stabilisierende Funktion in der Gesellschaft. Bevor die Menschen überhaupt in die Spitäler gehen, besuchen die meisten von ihnen Medizinmänner und -Frauen, die Sangomas. Diese rufen jeweils die Ahnen an, werfen Knochen auf den Boden, und deuten so die Zukunft ihres Patienten. Den Kräutern und Mixturen trauen die Menschen mehr als der modernen Schulmedizin. Dieser Respekt gibt ihr eine mächtige Stellung. Viele der Sangomas sind durchaus keine Scharlatane, sondern ernsthafte Naturheiler – etwa wie europäische Homöopathen. Doch die Rezepte mancher selbst ernannten Sangomas haben oft fatale Folgen. Einige Sangomas verstärken den Aberglauben der Menschen auf unverantwortliche Weise. Zum Beispiel indem sie ihren PatientInnen möglichst häufigen Geschlechtsverkehr empfehlen, um das Virus loszuwerden. Oder Geschlechtsverkehr mit einer Jungfrau. So werden auch Kinder sexuell missbraucht und ebenfalls infiziert.

  • Meinungen zum (Aber-)glauben vieler Afrikaner/innen bezüglich Medizin und AIDS-Prävention austauschen und diskutieren. Weshalb klammern sich viele Menschen im südlichen Afrika nach wie vor an die überlieferten Heilmethoden der Sangomas?
  • Den Stellenwert und die Veränderungen der Traditionen hinterfragen und diskutieren. Überlegen, wie sich Traditionen in dieser Hinsicht bei uns gewandelt haben und in welchem Tempo?
  • Einen Vergleich mit der medizinischen Versorgung bei uns anstellen. Wie hat sich die Medizin in Europa in den letzten Jahrzehnten entwickelt? Wie hat sich der Stellenwert der Homöopathie verändert? Wie stehen PatientInnen bei uns heute zu alternativen Heilmethoden? Wo sind die Grenzen der Alternativmedizin?
  • Den Fruchtbarkeitsglauben und die traditionelle Rollenverteilung von Mann und Frau anhand der Szenen in Mozambik diskutieren. Weshalb werden Traditionen angesichts der neuen Herausforderung unkritisch übernommen und wird sogar der Tod in Kauf genommen?
  • Traditionen spielen bei der Frage um AIDS eine primäre Rolle: Joaquim soll seiner Rolle als Mann nachkommen und seiner Frau mehr Kinder schenken. Er ist in einem großen Zwiespalt, erkennt er doch klar, dass AIDS eine übertragbare und tödliche Krankheit ist und er seine Frau unbedingt davor schützen muss. Was wird stärker sein: Seine Überzeugung oder die Traditionen. Kann er sich gegen die Traditionen stellen, ohne vom Dorf verstoßen zu werden? Ein schier unüberwindbarer Gewissenskonflikt.
  • Überlegen, ob Traditionen von Männern nicht einfach als Machtmittel missbraucht werden. Diskutieren, wie es bei Joaquim steht, wieweit er sich von Traditionen unter Druck gesetzt fühlt, sie ausnutzt oder gegen sie ankämpft?
  • Diskutieren, welche Traditionen im der heutigen Zeit mit den neuen Herausforderungen noch Sinn machen und wie Menschen in Südafrika (und auch bei uns) Traditionen bewahren oder anpassen können, ohne die eigene Kultur zu verlieren.

Auswirkungen von AIDS in Afrika
Im südlichen Afrika sterben laut Statistiken vor allem Menschen zwischen 20 und 45 Jahren an AIDS, also die «Elterngeneration». Damit wird die traditionelle Wissensvermittlung durchbrochen. Es entsteht eine Lücke, da die Großeltern ihren Enkelkindern wohl ihr Wissen weitervermitteln können, jedoch sind sie nicht mehr mit der «modernen» Welt vertraut, der Sprung ist zu groß. Die Weisheiten der «Alten» passen noch weniger zur «revoltierenden» Generation der Enkel. Durch die «Mitesser» sind Großeltern aber auch überlastet und haben weniger Zeit zur Traditionsweitergabe.

  • Die sozialen und ökonomischen Auswirkungen des Wegsterbens der Elterngeneration diskutieren.
  • Sich anhand des Artikels unter «Hintergründe» und Internetrecherchen (siehe Links weiter hinten) ein Bild von den katastrophalen Auswirkungen auf dem afrikanischen Kontinent machen.
  • «Die meisten AIDS-Kranken landen auf der Straße, ausgestoßen von einer ignoranten Gesellschaft». Diesen Satz eines HIV-infizierten Sozialarbeiters aus Durban/SA in Verbindung mit den Pestepidemien des Mittelalters in Europa bringen.
  • Überlegen, wie die Folgen von AIDS bezüglich Armut, Kriminalität etc. verhindert werden könnten.
  • Sich Gedanken zur unterschiedlichen medizinischen Versorgung im südlichen Afrika und bei uns machen.

Neue Wege in der AIDS-Prävention?
Die AIDS-Prävention hängt stark von der materiellen Sicherheit ab: So lange das Überleben nicht wirklich gesichert ist, so lange es keine Testmöglichkeiten im nächsten Dorf gibt, so lange es keine Behandlungsmöglichkeit für infizierte Menschen gibt, weil sie nicht bezahlt werden kann – so lange bleibt die HIV-Infektion geheim, so lange wird sie weiter getragen; und  nicht selten wissen die Menschen, welches Risiko sie weitergeben. Aber so lange diesen Menschen die ungeschützte Liebe fast das einzige ist, was ihnen im Leben noch bleibt, so lange kann die Krankheit nicht besiegt werden.
Zudem ist es eine Utopie zu glauben, dass Menschen, die mit weniger als einem Dollar (= 24.000 Medicais) pro Woche auskommen müssen, sich teure Verhütungs- oder Testmethoden leisten können. Präservative kosten pro Tag etwa 1.000 Medicais, ein HIV-Test 20.000 Medicais. Diese finanziell schwierige Situation verhindert in großem Masse, dass Menschen über ihren Gesundheitszustand Bescheid wissen, also auch, ob sie sich angesteckt haben oder nicht.

  • Überlegen, welche Voraussetzungen geschaffen werden müssten, damit die AIDS-Prävention im südlichen Afrika tatsächlich Erfolg haben könnte (soziale, wirtschaftliche medizinische, staatliche und internationale Rahmenbedingungen).
  • Auflisten, welche Institutionen und Stellen aktiv bei der Prävention mitmachen sollten (Medizinische Zentren, Ärzte und Ärztinnen, Sangomas, Regierungsstellen, Dorfchefs, ...).
  • Die Sangomas könnten bei der AIDS-Aufklärung eine wichtige Rolle spielen; manche von ihnen fahren trotz AIDS-Seminaren mit ihren traditionellen Methoden fort. Wie könnte man die Sangomas wirksam in die Präventionskampagnen einbeziehen? Welche Voraussetzungen müssten geschaffen werden?
  • Vermehrt stellen sich HIV-Infizierte oder AIDS-kranke Menschen als Aufklärer/innen im südlichen Afrika zur Verfügung und versuchen die Leute in Spitälern, Minen, Dörfern etc. aus ihrer eigenen Betroffenheit heraus zu informieren (s.a. auch Filmliste weiter hinten).
  • Weitere Formen der AIDS-Aufklärung zusammentragen (zum Beispiel Straßentheater, Broschüren, Fernsehauftritte, staatliche Presse, internationale Organisationen etc.).
  • Die Rolle der internationalen Hilfe bei der AIDS-Prävention diskutieren; wieweit können Programme der Entwicklungszusammenarbeit oder Spendenkampagnen in Ländern wie Mozambik oder Südafrika etwas bewirken? Wieweit sind solche Bestrebungen überhaupt sinnvoll? Wie sieht es mit der globalen AIDS-Prävention aus (siehe auch Internet)?
  • Wie sehen wir unsere ganz persönliche Rolle im Thema «AIDS»?

Literaturhinweise

  • Missio (Hrsg.): AIDS im südlichen Afrika – Religion erleben 6. (Unterrichtseinheit für Sekundarstufe I und II mit kompletten Unterrichtsentwürfen.
  • Evangelisches Missionswerk in Südwestdeutschland EMW e.V. (Hrsg.): Südafrika – AIDS in Afrika, EMS-Informationsbrief Nr. 4/2001
  • Das Schweigen brechen – ein Studien- und Arbeitsheft für Gemeinden und Gruppen; hrsg. v. Aktionsbündnis gegen AIDS, EMW Hamburg; Bezug:
  • Meja Mwangi: Die achte Plage. Peter Hammer Verlag Wuppertal 1997. (Roman)
  • Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (Hrsg.): AIDS hat viele Gesichter, Menschen berichten von ihrem Leben mit AIDS.
  • Paulina Chiziane: Wind der Apokalypse. Roman. Brandes & Apsel, Frankfurt a.M. 1997
  • Sonja Weinreich, Christoph Benn, AIDS - Eine Krankheit verändert die Welt, Lembeck-Verlag 2003

Internetadressen

  • www.ndrtv.de/weltspiegel/20020707/suedafrika.html (AIDS-Kampagne in Südafrika
  • www.kkMozambik.de/rundbrief/start.htm (Gesundheit und AIDS in Mozambik
  • www.sah.ch/Katastrophen/news_mocambique_duerre.htm (Informationen des Schweiz. Arbeiterhilfswerkes
  • www.aidshilfe.de (Deutsche AIDSHilfe)
  • www.aids-kampgane.d
  • http://www.aids-kampgane.dehttp://searchfoxx.de/Geografie (Informationen zu Mozambik und Südafrika
  • www.novacultura.de/mocambique/html (LINKS und Informationen zu Mozambik
  • www.unaids.org (UNO-Organisation im Kampf gegen AIDS)

Medien

ES KÖNNTE SO SCHÖN SEIN ( Dreams of a good Life)
Bridget Pickering, Südafrika 2001, 15 Min., Dokumentarfilm, Voice over deutsch
Bezug: EZEF

PINKYS KAMPF (A red Ribbon around my House)
Portia Rankoane, Südafrika 2001, 26 Min., f., dt., Dokumentarfilm, UT u. Voice over, Video
Bezug: EZEF

Autor: Peter Meier-Apolloni
Juni 2003