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Ken Bugul - Niemand will sie

Ken Bugul - Personnen n'en veut
Dokumentarfilm von Silvia Voser
Frankreich, Schweiz, Senegal 2013, 62 Minuten, OmU

Zum Inhalt

Ken Bugul ist eine der radikalen Federn Senegals und der frankophonen Literatur, eine weibliche, zweifelnde und starke Stimme, die um Integrität und Freiheit kämpft. Sie ist eine Afrikanerin, eine schwarze Frau, deren Worte über sich hinaus einen universellen Resonanzraum aufmachen, in dem Hautfarbe, Geschlecht und Herkunft nicht mehr als „äußere Attribute“, so Ken Bugul, sind. Was den ganzen Menschen ausmacht, versucht Ken Bugul literarisch zu fassen, wie sie das denkt und lebt, versucht Silvia Vosers Film einzufangen.

„Ken Bugul - Personne n’en veut“ ist ein essayistisches Film-Portrait der senegalesischen Schriftstellerin Ken Bugul. Der Film folgt der außergewöhnlichen Persönlichkeit auf einigen Stationen ihres Lebens, die in Beziehung zu ihrem schriftstellerischen Werk stehen. Er folgt seiner Hauptfigur aber nicht streng, sondern assoziiert und macht das Werk und seine Autorin im Kontext ihrer Aufenthaltsorte in Senegal und Benin erfahrbar. Der Film ist wie ein vielfach geschichteter Monolog strukturiert. Dabei kommt allein Ken Bugul zu Wort. Ausschnitte aus ihren Romanen werden gelesen. Zitate werden als Zwischentitel eingesetzt, die den Film kapitelartig rhythmisieren und unterschiedliche Erzählebenen hervorheben. Nur ihr Blick auf die Welt und die Welt, die sie mit ihren Texten entwirft, interessiert die Filmemacherin Silvia Voser. Niemand relativiert oder erklärt ihre Perspektive, ihre Sprache, die Bedeutung ihrer Worte. Niemand hakt nach oder widerspricht, keine zusätzlichen Quellen informieren oder belehren.

Die Struktur des Films, die Wahl der Zitate aus den Werken und die Montage der Bilder folgen jedoch der alleinigen Entscheidung der Filmemacherin, die auf ausgewählte Themen setzt. Sie ist davon überzeugt, dass sie von allgemeinem Interesse sind und dazu beitragen können, die trennenden Effekte von Hautfarbe, Geschlecht und Herkunft zu unterlaufen. Auf diese Weise bietet der Film an, das sehr persönliche mit politischen und künstlerischen Motiven durchzogene Universum der Ken Bugul zum Spiegel der eigenen Verfassung und Wünsche zu machen. Freiheit, frei zu sein zum Preis der Einsamkeit ist eines der Themen, die persönliche und politische Unabhängigkeit ein anderes, Herkunft und Familie, das Leid und die Gewalt der Migration ein nächstes, Zweifeln und Schreiben. Dem Film gelingt dabei etwas sehr Kostbares. Er umreißt einen Raum, in dem wir eine Person der intellektuellen und künstlerischen Produktion kennenlernen können, der sich gleichermaßen für reale, äußere Orte und die inneren imaginären und fiktionalen Räume öffnet, die auf ganz schwebend schillernde Weise ineinander übergehen und stellenweise sogar ununterscheidbar werden.

Im Film begegnen wir Ken Bugul zuerst als Text in einer von einer männlichen Stimme gelesenen Stelle aus Le baobab fou (Die Nacht des Baobab), ihrem ersten autobiografischen Roman. Die Worte bringen einen tiefgreifenden Bruch zum Ausdruck. Dazu schneidet Silvia Voser Bilder des Meeres wie es sich in Wellen gegen Felsen wirft. Text und Bild sind, wie an vielen Stellen des Films, konnotativ verbunden. Der Himmel ist blau und sehr weit. Das Meer, ein Ozean, liegt selbstredend zwischen den Kontinenten. Die Wellen kommen und gehen, schäumen zart und brechen gewaltsam. Dann tritt Ken Bugul in ihrem Haus in Porto Novo in Erscheinung, anmutig und klug. Licht flutet mild durch die Lamellen des Fensters, taucht Boden und Wände, Muster und Farben in Gold. Ken Buguls Bruch mit der Herkunft und der Ankunft in Europa sind so hart wie wenige Jahre später die Rückkehr in den Senegal und ihre empfundene Ablehnung. Das Meer illustriert nichts. Es ist vielleicht nur so aufgewühlt, wie es Ken Buguls Erfahrungen sind. Solche energetischen Verbindungen macht der Film zu seiner Bildsprache, führt Sprache und Bilder komplementär zu größeren Einheiten zusammen, bei der die Autonomie der Literatur und des Films gewahrt werden.

Es ist dabei viel die Rede davon, wegzugehen, nur um nicht mehr hier zu sein. Jeder Ort im Film ist ein Durchgangsort, eine temporäre Bleibe. Ken Buguls Art der Verarbeitung ihrer Erfahrungen, für die sie einen inneren Raum der Sprache und des Schreibens schafft, verarbeitet Silvia Voser filmisch. Die Kamera hält Räume fest, durch die Menschen, Fahrzeuge in Bewegungen gehen, was den Ausschnitt eines größeren Bewegungskontexts betont. Im Film ist jeder Schnitt ein Sprung, ein Bruch. Ken Buguls initialer Bruch mit der Herkunft in der Kindheit wird in ihrer literarischen Produktion zum Daseins-Motiv einer universell erlebten modernen Erfahrung, die Silvia Vosers Film wieder zurück an ihren Ausgangspunkt spiegelt. Der Ausgangspunkt ist Ken Buguls emotionale Verarbeitung von Migrationserfahrungen – dem Fortgang der Mutter, ihre eigene Abreise aus Senegal, dann aus Belgien, das Gefühl von Angst, der Wunsch in Bewegung zu sein, zu fliehen, Abwesenheit und Anwesenheit, Einsamkeit und Freiheit, Sehnsucht nach einem Zuhause – all dieses vermengt sie mit stoischer Leidenschaft, das ist bei ihr kein Widerspruch.

Sie weiß, wie die Rechnung gemacht wird, dass sie die Einsamkeit in Kauf nehmen muss, um Schriftstellerin zu sein, um frei sein zu können, zu tun, was sie will, um bedingungslos sich selbst zu sein, auch wenn sie eigentlich nicht allein sein möchte. Eine solche radikal selbstreferentielle Perspektive und Sprache hat intellektuellen Seltenheitswert, hat Stil und ist berührend offen. Für Ken Bugul wird Schreiben zur wichtigsten Tätigkeit. Silvia Vosers Film zeigt sie uns, wie sie den Tag verbringt, morgens im Badezimmer liest, Texte am Computer durcharbeitet, ihre Arbeitsweise beschreibt. Ken Bugul streift dabei die Debatte um die Genuinität afrikanischer Autoren und ihr Verhältnis zur einstigen Kolonialsprache, Französisch. Sie schreibt zwar auf Französisch, aber dieses Französisch ist von der Sprechpraxis in der Muttersprache aus der Kindheit in Malème Hodar kontaminiert.

Allmählich wird der Film zum Roadmovie, ohne dass das Reisen selbst gezeigt wird, wohl aber die Stationen eines mobilen Lebens. Ken Bugul fährt mit dem Zemidjan, dem beninischen Motorradtaxi, durch die Gegend, weil ihr Auto gerade nicht funktioniert. Sie wettert über ihre Generation, die die Unabhängigkeit in den Sand gesetzt hat, über die Entwicklungshilfe, die nur noch größere Abhängigkeit schafft. Dazu montiert Voser Bilder der endlosen Baustellen an der Route de la Corniche und des gigantischen Afrikanischen Renaissance Denkmals in Dakar. Ken Bugul besucht die heute geschlossene Schule in Randoulène in Thiès, in die sie in den 1950er Jahren gegangen ist und erinnert sich an die Zeit, als sie bei ihrer älteren Schwester lebte, die ihr das Frausein und die Beherrschung der Gefühle beibrachte, während der Lehrer die Schülerinnen mit sadistischen Spielchen tyrannisierte. Sie ist noch einmal in Guinguineo, kommt auf ihre Mutter zu sprechen, mit der sie nicht sprechen konnte. Sie spricht vom Serigne, dem einzigen Menschen, der sie verstanden hat und der ihr Mut gemacht hatte zu schreiben. In Malème Hodar fahren keine Züge mehr. Die Gleise und der Bahnhof verfallen. Die Zeit, als Vater und Mutter dort lebten, ist lange vergangen. Damals ging die Mutter weg. Und auch Ken Bugul ging weg. Jetzt gehen alle.

Im Nachspann des Films ist Ken Bugul mit einer kaputten Tonfigur einer Amazone beschäftigt. Wir sind wieder bei ihr in Porto Novo. Die Figur ist am Hals gebrochen und Ken Bugul setzt ihr den Kopf wieder auf, während sie knapp bemerkt, die Arme habe den Kopf verloren, aber nicht die Waffe. Im Universum der Ken Bugul macht das alles Sinn.

Würdigung und Kritik

Silvia Vosers Regiedebüt führt mit Gespür für Details und Stimmungen in das Leben und Schreiben der Schriftstellerin Ken Bugul. Sie legt den Film als inneren Monolog einer Künstlerin an, deren Werk einen bemerkenswerten in Europa sehr wenig und in Deutschland noch weniger bekannten Blick auf die Welt preisgibt. Die Textebene gehört Ken Bugul, die Bildebene den feinen um sie herum gefilmten Impressionen, die die Wirklichkeit zeigt so wie sie ist, ohne sie metaphorisch aufzuladen oder sie zu Hinweisen des literarisch Verarbeiteten zu machen. Ken Buguls persönliche Erfahrungen werden dabei zeitlich in die Phase der endenden Kolonialzeit und der Unabhängigkeit in Senegal Anfang der 1960er Jahre bis heute lokalisiert. Verschränkungen und Vermischungen der Vergangenheit in der Gegenwart und der europäisch-afrikanischen Beziehungen bilden das interkulturelle Gewebe des Films.

Dem Filmportrait ist anzusehen, dass der Filmemacherin Silvia Voser die Komplexität der westafrikanischen Geschichte und Kultur und die Literatur der Ken Bugul vertraut sind. Und man spürt, dass sich die europäisch-afrikanischen Erfahrungen der Filmemacherin als langjährige Produzentin internationaler Filme in die Ästhetik des Films eingeschlichen haben. Ihr Film hat sich außerdem von Ken Buguls Wunsch nach Freiheit und Unabhängigkeit und ihrem Mut anstecken lassen und nimmt ausschließlich ihre Texte und ihr Leben zum Ausgangspunkt dessen, was wir fernab jeder neutralisierten Beobachtung, Befragung und Relativierung zu sehen und zu hören bekommen, uneingedenk der erheblichen wissenschaftlichen Sekundärliteratur, die zu Ken Buguls Werk vorliegt.

Komplexe Zusammenhänge, auch ironische Brechungen und Späße wie auch das intuitive Gespür für Längen, Dramaturgie, schöne Bilder und Textstellen machen den Film zu einem anspruchsvollen und reichen Erlebnis. Doch mögen nicht alle Details der gezogenen Register für alle Zuschauer nachvollziehbar sein. Für diejenigen, die es gewohnt sind, dass ihnen alle Zusammenhänge erklärt werden, kann diese experimentell angelegte assoziative Form des Filmmachens ein Ärgernis sein, für andere ein überraschender Anreiz, ein Gespür für die Schriftstellerin zu entwickeln und aus eigenem Antrieb die frankophone westafrikanische literarische und politische Szene zu entdecken. Im Unterschied zur Folklorisierung und zum Armutsvoyeurismus afrikanischer Lebenswelten in den Mainstream-Medien legt es „Ken Bugul - Personne n’en veut“ darauf an, eine Persönlichkeit sichtbar zu machen, die kein Opfer ist, sich weder als Frau dem männlichen noch als Afrikanerin der westlichen Hierarchisierung unterordnet. Eine Persönlichkeit, die sich nicht scheut, sich ins Zentrum ihres schriftstellerischen Werks zu stellen und dabei ganz unscheinbar das Solidar-Klischee und die Fügungspflicht unters Regelwerk der Gemeinschaft aushebelt. Die Radikalität der Haltung trifft wie eine zweite Welle mit aller Wucht.

In Senegal und Benin, all die Orte, die der Film passiert, erscheinen durch Ken Buguls Beziehung zu ihnen und Silvia Vosers Beziehung zu Ken Bugul in einem ganz eigenen Licht, wertvoll und lebendig. Ken Buguls Monolog verwandelt der Film in eine kommunikative Situation, vermittelt Tiefe, Reflexion und Bewunderung für diese Schriftstellerin, „deren Werk sich nicht auf ein Land oder einen Erdteil beschränkt, sondern über Grenzen geht“ (Silvia Voser).

„Schreiben heißt, die Sinne zu betören, und die Sinne haben keine Farben.“ (Ken Bugul)

Wer ist Ken Bugul?

Ken Bugul ist das literarische Pseudonym der senegalesischen Schriftstellerin Mariètou Mbaye Biléoma, die 1982 mit ihrem Erstlingsroman Le Baobab fou mit Fanfaren und Trompeten die literarische Szene betritt. Bis heute hat Ken Bugul ein Dutzend Bücher geschrieben von denen einige in verschiedene Sprachen übersetzt wurden. Ihr Werk ist Gegenstand unzähliger literaturwissenschaftlicher Beiträge und Bücher, in denen sie mit dem Werk von Mariama Bâ, Xalixte Bejiala, Fatou Diome, Aminata Sow Fall und anderen vor allem senegalesischen Schriftstellerinnen und Schriftstellern in Verbindung gebracht und als Innovatorin der frankophonen Literatur gelesen und geschätzt wird[1]. Ihre offene, scharf analytische und empfindliche Sprache und Schreibweise verwebt ihre Herkunft mit ihren Erfahrungen in Europa und im Senegal. Ihr Erleben, ihre Perspektive steht im Fokus, ihr „Ich“ verschafft sich einen kompromisslosen Raum und macht Ken Buguls Literatur so einzigartig.

Mariètou Mbaye wurde 1947 in Malème Hodar (in der Region Ndoucoumane im Siné Saloum) geboren, einem kleinen Ort im Zentrum der damals noch französischen Kolonie Senegal. Ihre Mutter verlässt den zu ihrer Geburt bereits 85-jährigen Vater; die fünfjährige Mariètou bleibt in der Familie des Vaters, eine für sie nachhaltig traumatische Erfahrung. Sie ist das erste Mädchen der Familie, die die neue Schule nach französischkolonialem Modell besucht. Später zieht sie nach Thiès zu ihrer großen Schwester Ayda Mbaye, die für ihr Selbstverständnis als Frau prägend ist, sagt sie im Film. Das Unterrichtsprogramm ist keineswegs an das Land angepasst, sondern vermittelt den senegalesischen Kindern ausschließlich die Inhalte, die Werte, Geschichte und Kultur Frankreichs, auch, dass „unsere Ahnen Gallier“ sind, was in die Umgangssprache als geflügeltes Wort nos ancêtres les gaulois eingegangen ist. Mariètou ist eine sehr gute Schülerin, sie ist von allem Französischen fasziniert, glättet sich die Haare, näht Kleider aus Illustrierten nach. 1958 zieht sie nach Dakar und wohnt bei einem ihrer Brüder. Dort erlebt sie Senegals Unabhängigkeit. Nach dem Abitur schreibt sie sich an der Universität Dakar ein bis sie einen Auslandsstudienplatz bekommt und verlässt 1971 Dakar für Brüssel. Dort lernt sie das freizügige Leben der Linken und Hippies kennen, Kunst, Drogen und Prostitution, die Wirkung ihrer Schönheit auf Männer und Frauen. Sie erfährt die quälende Barriere ihres Schwarzseins in den Beziehungen und Freundschaften. Sie will in die europäische Kultur eintauchen, aber wird zu sehr als schwarze Frau wahrgenommen, zu wenig von ihrem eigenen Selbst hat hier Platz, während sie bereit ist, alles Europäische in sich aufzunehmen. Versuche, den Blick zu durchbrechen, der sie so exotisiert, treiben sie nur tiefer in Selbstzweifel und Depression, von denen sie in ihrem ersten Roman Le Baobab fou schreibt. Der Traum von Europa erweist sich als Alptraum, auch wenn sie von dessen Literatur, Mode, Musik, Liebe längst geprägt ist und darin lebt.

1979 kehrt Mariétou Mbaye nach Senegal zurück; sie kommt mehr noch als mit leeren Händen mit einem Haufen Erfahrungen zurück, die hier kein Mensch versteht und fühlt sich wieder verstoßen. Sie ist zwei, wie es Cheikh Hamidou Kane in seinem bahnbrechenden Roman L’aventure ambiguë (1961; deutscher Titel Der Zwiespalt des Samba Diallo) eindrücklich als Erfahrung der Unvereinbarkeit zweier Prägungen schildert, der senegalesischen und der französischen, die die vollständige Teilhabe an keiner der beiden Kulturen erlaubt, weil man nur ein bisschen von beiden ist.

Der Versuch, sich zu pflegen, führt Mariétou Mbaye zurück zur Mutter nach Guinguineo; das Verhältnis zu ihr bleibt kompliziert und bedrückt; allein der Serigne, den sie dort wieder trifft, bietet ihr den ersehnten ebenbürtigen und neugierigen Gesprächspartner und Partner. Sie ist zu diesem Zeitpunkt 32 Jahre alt und wird seine 28. Frau. Diese Beziehung gibt ihr Mut, zu leben wie es ihr entspricht und zu schreiben. Die Ehe mit dem Serigne rehabilitiert sie auch gesellschaftlich. In dieser Phase beginnt sie mit der Arbeit an Le baobab fou, ihrem ersten Buch, den sie auf Anraten des Verlegers unter einem Pseudonym herausgibt; ihre Erfahrungen, seien sie auch stark fiktionalisiert, sind skandalös, zu offen verarbeitet, um unter ihrem Familiennamen veröffentlicht zu werden. Mariétou Mbaye gibt sich den Namen „Ken Bugul“, auf Wolof wortwörtlich niemand will sie. Es ist einer jener Namen wie beispielsweise „Sagar“ [Lumpen] oder „Sem“ [Müll], die man Neugeborenen gibt, die gesundheitlich besonders gefährdet scheinen, weil die Mutter zuvor mehrere Fehlgeburten hatte oder Geschwister früh starben. Mit solchen Namen sollen die Kinder vor bösen Kräften geschützt werden. Fortan verwendet Mariétou Mbaye „Ken Bugul“ in dieser doppelten Funktion, als Schutz vor Ablehnung und Missfallen und als Affirmation ihrer Einsamkeit, Selbstständigkeit und Freiheit.

Le baobab fou erscheint 1982, kurz nach dem Tod des Serigne 1981. Die Begegnung mit dem Serigne und das Leben in seinem Haus ist Thema ihres zweiten autobiografischen Romans Riwan ou le chemin de sable (1999). Von 1986 bis 1993 arbeitet Mariétou Mbaye für die International Planned Parenthood Federation in Nairobi, Brazzaville und Lomé und lernt die Lebensbedingungen und Familienstrukturen von Frauen in unterschiedlichen Regionen Afrikas kennen. Sie zieht Mitte der 1980er-Jahre nach Porto Novo (Benin) und arbeitet als Kunsthändlerin und Schriftstellerin. Sie heiratet zum zweiten Mal und bekommt eine Tochter, Yasmina. Ihr Mann stirbt, sie lebt seitdem in Benin und Senegal.

Ken Bugul ist eine der meist publizierten und gelesenen zeitgenössischen afrikanischen Autorinnen und engagiert sich dafür, dass Literatur in Senegal publiziert und gelesen werden kann, tritt auf Buchmessen, Festivals und Konferenzen auf. Sie erhält 1999 den Grand Prix Littéraire de l'Afrique Noire für Riwan ou le chemin de sable; 2012 empfängt sie die Médaille d’Officier de l’Ordre des Art et Lettres aus den Händen des französischen Außenministers Laurent Fabius.

Bibliografie

  • Le Baobab Fou, Dakar: Nouvelles Editions Africaines 1982; neu herausgegeben von Présence Africaine
1983. Übersetzungen: Die Nacht des Baobab (1985, 2003).
  • Cendres et braises, Paris: L'Harmattan 1994.
  • Riwan ou le chemin de sable, Paris: Présence Africaine
1999.
  • La Folie et la mort, Paris: Présence Africaine 2000.
  • De l'autre côté du regard, Paris: Editions du Serpent à Plumes 2003.
  • Rue Félix Faure, Paris:
Editions Hoebeke 2005.
  • La pièce d'or, Paris: Editions UBU 2006.
  • Mes hommes à moi, Paris:
Présence Africaine 2008.
  • Aller et retour, Dakar: Athéna 2014.
  • Cacophonie, Paris:
Présence Africaine 2014.

Hintergründe: Ken Bugul, die politische Schriftstellerin, die Feministin

Ken Bugul (geb. 1947) gehört einer Generation an, die vor Ende der Kolonialzeit aufgewachsen ist. Sie kam unmittelbar mit dem französischen Kolonialapparat in Berührung und auch mit der Unabhängigkeit Senegals 1960, die Léopold Sédar Senghors erste Präsidentschaft einläutete. Senghor war eine schillernde politische und literarische Persönlichkeit; er hatte in Frankreich in den 1930er Jahren gemeinsam mit Aimé Césaire und Léon Gontrand Damas die Négritude als ein literarisch-philosophisches Konzept schwarzer Selbstbehauptung begründet, dessen antikoloniale Haltung und Identitätspolitik für das Kunst- und Kulturschaffen lokal und international prägend war. Im Geist der Négritude fand 1966 – Ken Buguls 19. Geburtsjahr – das erste Festival mondial des arts nègres in Dakar statt, ein Großereignis mit Gästen aus Afrika und seiner Diaspora in Europa, Amerika und den Antillen. Im Dezember 2010, unter der Ägide des Präsidenten Abdoulaye Wade, wurde das Festival zum dritten Mal ausgerichtet. Im Januar desselben Jahres wurde das „Monument de la Renaissance africaine“, eine 53 Meter hohe bronzene Statue eingeweiht, die in Ken Bugul - Personne n’en veut umfahren wird, während ein kritischer Ausschnitt über Entwicklungshilfe aus Cacophonie, ihrem letzten Roman, gelesen wird. Den ersten Entwurf des senegalesischen Bildhauers Ousmane Sow hatte Präsident Wade abgelehnt und sich stattdessen für das Projekt des rumänischen Künstlers Virgil Magherusan entschieden, mit dessen Umsetzung die nordkoreanische Firma Mansudae Overseas Projects Group betraut wurde. Als Bezahlung erhielt sie ein Grundstück in bester Lage am Meer in der Nähe des Léopold Sedar Senghor-Flughafens von Dakar. Das umstrittene Richtung Amerika ausgerichtete Monument hatte bei der Bevölkerung in Dakar und darüber hinaus auch Kulturschaffende und Intellektuelle des ganzen Kontinents empört, die das übergroße Kleinfamilien-Ensemble in sozialistischem Stil als groteske afrikanische Selbstinszenierung kritisierten, das dem eigenen Land und Kontinent den Rücken kehre. Ken Bugul ist eine der Stimmen, die die Enttäuschung über die misslungene Selbstaufrichtung des Kontinents in der Phase der Unabhängigkeitserlangung mit der Kritik an den pervertierten Machtverhältnissen von Heute verwebt. Wie Aminata Traoré und andere kritisiert sie die gespielte Solidarität der Machthabenden bei fortlaufendem Ausverkauf afrikanischer Ressourcen, die heute aus dem Kontinent einen von Fremdinteressen gesteuerten Kriegsschauplatz machten.

Ken Bugul setzt sich als Schriftstellerin zwangsläufig mit den Möglichkeiten als Frau auseinander, ihr Leben so zu gestalten, wie es ihr gefällt. Sie hängt dabei weder einem westlich geprägten und universalistisch verstandenen, noch der Gegenbewegung eines afrikanischen Feminismus[2] an, sondern bewegt sich schräg zu diesen Modellen. Ihr individueller, nach Bedarf ausgeloteter Feminismus unterläuft die antinomischen Denkmuster, die afrikanische Frauenschicksale in Klischees von Opfer-Narrativen oder Kämpferinnen stilisieren. Ihr radikales Schreiben setzt vielmehr auf den Mut zur Äußerung und Freilegung der menschlichen Erfahrung. Als Person werden für sie Selbstaufrichtung und Selbstbeherrschung zu äußeren Verhaltensdirektiven. Dabei wird ihre Auseinandersetzung mit einer höchst ambivalenten Lebenswelt greifbar, die hart und frauenfeindlich ist, aber auch Zuneigung und Anerkennung gibt, der man pragmatisch begegnen, aber auch abverlangen kann, dem Denken und Schreiben, der Einforderung gleicher Rechte und den Gefühlen einen Platz zu geben. Ken Bugul verkörpert diesen Raum und die Gratwanderung, die ihn herstellt. Sie lehrt zwischen systemischer Ungleichheit und persönlicher Erfahrung zu unterscheiden und für die Widersprüche eine Sprache zu finden: für das libertäre und gleichzeitig strukturell rassistische Leben in Belgien (in Le Baobab fou), für die temporäre Gleichstellung und Liebe in einem muslimischen Kontext (in Riwan ou le chemin de sable). Ken Buguls literarische Perspektive wächst aus dem Inneren der Intimität, das politisch, religiös und sozial durchdrungen, Schauplatz von Ängsten und Verletzungen durch die Hierarchisierung der Geschlechter ist. Ihre kurze Ehe mit dem Serigne von Guinguinéo, die für sie als Schriftstellerin von zentraler Bedeutung war, deutet der Film nur an. Serigne ist der Titel eines religiösen Würdenträgers (Sheikh auf Arabisch). Guinguinéo liegt im Siné Saloum, einer im Südwesten Senegals gelegenen Region mit weit zurückgehender Geschichte der Wolof-Staaten, in der die Bruderschaft der Muriden, einer im Senegal weit verbreiteten Sufi-Strömung muslimischer Mystik, beheimatet ist. In der Geschichte und Gegenwart Senegals spielen diese politischen und religiösen Parameter eine tragende Rolle: in der Opposition zur Kolonisierung des Landes aber auch für deren Akzeptanz in der Vergangenheit wie im gegenwärtigen Alltag. In diesem ist die Verehrung von Sheikh Ahmadou Bamba, dem Begründer der Muriden-Bruderschaft Ende des 19. Jahrhunderts, und die intellektuelle Auseinandersetzung über die Vereinbarkeit von Andacht, Arbeit, Poetik und Kenntnis von signifikanter Bedeutung.

Silvia Vosers Film enthüllt Ken Buguls Haltung gegenüber dem Islam, ihrem Glauben und ihrem Begriff von Freiheit nicht. Sie findet ein Bild, in dem die Gegensätze in einem Spiel von Verhüllung und Enthüllung schwebend gehalten werden, Gesten der Andacht und Gesten der Kritik ineinander übergehen und durch Selbstbeherrschung und Eleganz zusammengehalten werden. Ihre Beschreibung des Lebens im Hof des Serigne enthüllt Ken Bugul (in Riwan ou le chemin de sable) erstmals aus eigener Anschauung, wenn auch fiktionalisiert. Im Roman wird ein soziales Netzwerk skizziert, in dem der Serigne eine beachtete Autorität ist, der den Frauen einen sicheren Ort bietet, jedoch ihre soziale Erniedrigung nicht verhindert. Tatsächlich darf ein Serigne nur vier Frauen haben, mit denen er Kinder hat. Bei ihm können außerdem gesellschaftlich verstoßene oder verwitwete Frauen unterkommen; die Ehe mit ihm verschafft ihnen eine Auszeit und rehabilitiert sie. Sie können jederzeit den Schutzraum seines Hofs wieder verlassen, die Ehe auflösen oder, wie Ken Bugul, eine Arbeit finden, reisen und ein Buch schreiben.

In den Film ist nicht zuletzt eine kleine Hommage an Djibril Diop Mambety, mit dem Ken Bugul und Silvia Voser befreundet waren, eingeflochten, der 1998 verstarb. Djibril Diop Mambety war eine der prägendsten Figuren des senegalesischen Kinos und der intellektuellen Szene in Dakar, er war Schauspieler, Regisseur, Mentor, Ästhet und Visionär. "Ken Bugul - Personne n’en veut" beginnt mit dem Bild des Meeres in Fortsetzung der letzten Einstellung von Mambetys Film "Le Franc", dem ersten von drei geplanten Kurzfilm-Geschichten über die kleinen Leute. Es ist nicht dieselbe Stelle am Meer, doch die ästhetisch-räumliche Nähe ist unverkennbar und gesucht. Eine Sequenz des Films spielt auf der Insel N’Gor vor Dakar, wo Mambety das Zentrum Keur Yaadikoone gründete: ein Gesamtkunstwerk mit Schule für Waisenkinder, Pension und Restaurant. Ken Bugul hielt sich dort auf, als sie aus Belgien zurückkam, Silvia Voser wohnt dort, wenn sie im Senegal ist. Von Djibril Diop Mambety stammt der einzige Text im Film, der nicht von Ken Bugul ist. Sie liest die Wand-Inschrift vor: „Les petites gens sont les seuls conséquents, les seuls gens naïfs, c’est pourquoi le courage leur appartient, ce sont donc ces gens-là, qui n’auront jamais de compte en banque, pour qui tous les matins constituent le même point d’interrogation. Ce sont des gens francs.“ Die kleinen Leute sind die einzigen, die konsequent sind, die einzigen, die naiv sind, weshalb nur sie wirklich mutig sind; sie sind die Leute, die niemals ein Bankkonto haben werden und für die jeder Morgen ein Fragezeichen bedeutet. Sie sind die aufrichtigen Leute.“

"Et libres aussi“ – und auch frei, ergänzt Ken Bugul. 

Die Regisseurin

Silvia Voser ist Filmproduzentin, "Ken Bugul - Personne n’en veut" ist – nach 25 Jahren Produktions-Expertise – ihr erster Dokumentarfilm als Regisseurin.

Silvia Voser wurde 1956 in Baden (Schweiz) geboren. Sie ist zuerst als Lehrerin und Journalistin tätig, bevor die passionierte Kinogängerin 1982 nach Berlin zieht. Dort arbeitet sie bis 1988 bei den Freunden der deutschen Kinemathek, mit Erika und Ulrich Gregor, Sylvia Andresen und Cynthia Beatt beim Internationalen Forum des Jungen Films der Berlinale. Silvia Voser ist von 1986 an auch beim Internationalen Filmfestival Locarno für Katalog und Presse zuständig und präsentiert dort das Programm „Films de l’Afrique Noire“. Zeitgleich arbeitet sie für Christa Saredi World Sales (Zürich), die Jim Jarmusch und Aki Kaurismäki vertreibt, zwei damals noch unbekannte Filmautoren. 1987 lernt Silvia Voser in Cannes den burkinischen Regisseur Idrissa Ouédraogo kennen, der in der Reihe „Un certain regard“ seinen Erstlingsfilm „Yam Daabo“ (1986) zeigt. Sie engagiert sich für die Vermarktung seines nächsten Films „Yaaba“ (1988) in Cannes; so kommt es, dass 1989 Christa Saredi World Sales Ouédraogos Film „Yaaba“ und Jim Jarmuschs „Mistery Train“ in Cannes vertritt.

1990 gründet Silvia Voser die Produktionsfirma, Waka Films AG, sie ist Geschäftsführerin und ausführende Produzentin. „Waka“ bedeutet auf Moré komm her, in der Sprache des ersten ihrer produzierten Filme, „Tilaï“ (1990) von Idrissa Ouédraogo. Es folgt die Produktion des vielfach preisgekrönten Films „Samba Traoré“ (1992) desselben Regisseurs. Über ihn lernt sie auch den senegalesischen Filmemacher Djibril Diop Mambety kennen, der zu diesem Zeitpunkt an „Hyènes“ arbeitet, bei dessen Produktion sie für seine Produktionsfirma Maag Daan tätig ist, dann aber seine letzten beiden viel beachteten Kurzfilme „Le Franc“ (1994) und „La petite vendeuse de Soleil“ (1999) produziert und letzteren nach Mambetys Tod 1998 fertig stellt. Es folgt die Produktion weiterer Spiel- und Dokumentarfilme und einer ganzen Reihe Kurzfilme mit namhaften international bekannten Filmemachern und -macherinnen (unter ihnen Abbas Kiarostami, Chantal Akerman, Farida Benlyazid und Raùl Ruìz, Marco Bellocchio, Robert Kramer) in einem stetig wachsenden Netzwerk persönlicher Kontakte. Die Hinwendung zur internationalen Filmproduktion mag sich dem Zufall und Glück verdanken, zur richtigen Zeit, am richtigen Ort zu sein. Silvia Vosers Interesse an der Zusammenarbeit mit Filmschaffenden, die, wie sich später herausstellen wird, zu den brillantesten Filmautoren der letzten 20 Jahre gehören, und ihre Visionen Wirklichkeit werden zu lassen, verdankt sich auch ihrer Neugier, Verve und ihrem untrüglichen Sinn für ambitionierte Kollaborationen. 

Die Regisseurin lernt Ken Bugul zunächst durch ihre Literatur kennen. 1985 liest sie mit Begeisterung ihr Erstlingswerk Die Nacht des Baobab, dem bis heute einzigen deutsch übersetzten Buch der Schriftstellerin. Der Roman, sagt Voser, habe ihr die Augen für die Verhältnisse zwischen den Geschlechtern, den Hautfarben und Kontinenten geöffnet und eine andere Art darüber zu denken gelehrt. Seitdem verfolgt sie mit Interesse jede Neuerscheinung der Autorin. 2006 wohnt Voser der Lesung von Ken Buguls Roman Rue Félix Faure im Centre Culturel Français in Dakar bei. Wenige Monate später begegnen sie sich in Tarifa anlässlich des Festival de Cine Africano und kommen ins Gespräch. Sie entdecken Gemeinsamkeiten, auch gemeinsame Freunde, und es entsteht die Idee, ein Filmportrait von Ken Bugul zu machen. Silvia Voser entschließt sich nach ergebnisloser Suche nach einer passenden Regisseurin, den Film selbst zu realisieren. Denn es soll nicht irgend ein simpler Dokumentarfilm werden, bei dem man nur ein paar Fragen stellt und ein paar Antworten bekommt, sondern er soll der Außergewöhnlichkeit von Ken Bugul und ihrem Werk gerecht werden.

 

[1] Vgl. u.a. die Arbeiten von Birahim Thioune, Ecrire en francophonie, 2014; Christian Ahihou, Ken Bugul, La langue littéraire, 2013; Ada Uzoamaka Azodo (Hrsg.), Emerging Perspectives on Ken Bugul, Trenton 2009; Ilse Hanak, Auf dem Weg zu uns selbst: entwicklungspolitische Aussagen afrikanischer Schriftstellerinnen; eine Untersuchung zu Werken von Ama Ata Aïdoo, Ken Bugul und Amma Darko, 1999.

[2] Vgl. unter vielen anderen die pan-afrikanische und feministische Arbeit von Adelaine Casely-Hayford in Sierra Leone, Charlotte Maxeke in Südafrika, Huda Sharaawi in Ägypten zu Beginn des 20. Jh. und der heutigen Aktivistinnen, Politikerinnen, Richterinnen, Künstlerinnen usw. wie Leymah Gbowee, Joyce Benda, Simphiwe Dana; siehe u.a. das Forum des African Gender Institute in Kapstadt http://agi.ac.za.

Autorin: Marie-Helène Gutberlet
(Mein Dank geht an Silvia Voser für das herzliche Gespräch am 28.8.2015. mhg)

Oktober 2015